mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

lange Zeit war es üblich und recht einfach, zu Geburtstagen etwas zu schenken. es gab Begehrlichkeiten und lebensnotwendige Raritäten, die Menschen um einen herum glücklich machten. der Schenker musste in der sozialistischen Mangelwirtschaft nur etwas Glück haben, um ein ungarisches Letscho, Ölsardinen aus Fernost, eine fruchtige Annanas oder gefragte Weinsorten wie den Rosenthaler Kardarker zu bekommen. als Präsent erfreuten sie jeden und wenn nicht, dann schenkte man ein rares Buch, das vorher noch schnell selbst gelesen wurde. oder einfach Blumen, und am besten gefielen die geklauten aus einem Park. mir wurde stets ein Kaktus überreicht, aus welchen Gründen auch immer. wahrscheinlich weil er wie ich wenig Pflege braucht und trotzdem gedeiht.
in der Konsumgesellschaft schenken sich Menschen viel Unsinniges, so es lediglich zeigen muss, dass es eine mehr oder weniger aparte Gabe sein will, selbst wenn es ein peinliches Bestseller-Roman ist. tatsächlich kann sich jeder selbst das kaufen, was ihn erfreut, und die begehrten Bücher lagern sowieso schon in einem Regal, das kaum Platz für weitere aufweist. also wurde ein paar Jahre lang kleinteilig Originelles geschenkt, billig Trashiges oder ein Karton mit aussortierten Nippes, in dem noch Brauchbares zu finden war. das kam gut an, genauso gut wie die selbstgebrannten CD's mit unpopulären Aufnahmen für Autofahrten oder die Platten vom Trödelmarkt. die Eltern versuchte man einfach mit Gutscheinen für die Sauna, ein Wellnessbad oder einen Fensterputzer den Jubilar zu beeindrucken.
das Schenken ist do ut des ein sozialer Kitt, doch wo es schier unmöglich scheint, Sinnvolles für Jubilare aufzutreiben, eine Qual. der Einzelhandel hatte vor dem Millennium nach nicht mehr funktionierenden Schnäppchen-Offerten den kostenlosen Werbeartikel als Verlockung entdeckt. es lagen Internetseiten vor, in denen darauf hingewiesen wurde, wo es was umsonst gab. manche waren sogar bereit, dafür ein Abo einzugehen, also Geld zu bezahlen, um Tinnef sich zuschicken zu lassen. jene Marketing-Strategie ging solange auf, bis sich ihre Opfer darüber ärgerten, Messis zu werden.
sind Menschen wunschlos, sollte man vielleicht nur Glückwünsche verschenken. obgleich auch sie nicht nachhaltig begeistern. man wird aktuell von Algorithmen an Geburtstage erinnert und bekommt den Gratulationssegen dann gereimt mit e-cards zugeschickt. das ist unheimlich und deshalb gratuliere ich nicht mehr zurück, wo ich an die Ehrentage der anderen automatisch erinnert werde. vielleicht sollte ich ein anderes Leben führen, ein ausgedachtes, ohne zu bedenkende Geburtstage. kein unsinniger Gruss muss ankommen, wenn er in einem zu offensichtlichen Rahmen sich aufdrängt, wie bereits Derrida gegen die Interpretation Lacans zu Poes entwendetem Brief wusste. ein Rückzug muss keine Bestätigung oder Aufmerksamkeit erfahren. wenn der Bezug zum Bezug einmal unterbrochen wird, ist er in keinem zentralen Ankerpunkt mehr fixiert.