mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

es wird nie so heiss gegessen wie gekocht. ich beherzige es am Tisch, habe mir aber bei Gesprächen danach schnell den Mund verbrannt. mir fällt es schwer, in einer Konversation zu bestehen. mit meiner Spontanität verprelle ich nachhaltig Gesprächspartner und muss mich rechtfertigen oder gehörig zurückrudern. ich sollte mir das freie Reden verbieten und diskreter Meinungen verlautbaren, da ich Menschen, ungewollt in Verlegenheit bringe. bei inneren Monologen ist mir solches selbstverständlich, bei hörbaren Reden indes keine Absicht. bei Satirikern wird es erwartet, dass sie provozier und manche Verstocktheit auflösen. permanent brechen sie Tabus und berufen sich auf Tucholsky. mit den dümmsten Plattitüden überbieten sie sich und ziehen, damit alle merken, dass es Satire ist, jede Gelegenheit durch den Kakao.
es wird mit Missverständnissen gespielt, um ein breites Publikum zu erreichen, das als Kitzel die permanente Überdosis braucht. unlängst geriet dabei eine tumbe Entgleisung bei einem Entertainer zu einer argen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan. der Regierungschef hätte es einfach ignorieren können, stattdessen wollte er als gekränkte Eitelkeit zurückprovozieren und einen Staatsakt daraus machen. die Schwarm-Intelligenz im Internet freute sich über die folgenden diplomatischen Verwicklungen. solche Attitüden sind unterhaltend oder wie in der DDR ein Schenkelklatsch-Theater, das nichts anderes als eine angenehme Beschwichtigung sein konnte. im Kabarett wurde mit zweideutigen Wortspielen gegen die Unzulänglichkeiten des sozialistischen Alltages opponiert, und jeder wusste, weil trainiert im Witze-Erzählen, was gemeint war.
mir sind nie Witze in geselligen Runden eingefallen. ich kann allenfalls welche schlecht nacherzählen und als ernster Mensch selten über dargebotene lachen. meist ist die Pointe zu offensichtlich, so dass sie mich eher verunsichert. seit meiner Jugend leide ich an einer Eibohphobie, der vor- und zurückspringenden Angst, dass wo versteckt ein Doppelsinn als Symmetrie lauert. es sind die zwiespältigen Bedeutungen, welche mich als Palindrome irritieren. ich kann sie ebenso wenig wie mein Double im Spiegel akzeptieren, das seitenverkehrt nicht dem Original entspricht. der Scheitel liegt rechts anstatt links. somit sehen mich andere nie wie ich es gewohnt bin. doch eigentlich ist es egal, was seitenverkehrt oder hinten rauskommt, falls es umgekehrt dasselbe ist. linkswärts oder rechtswärts Schlagzeilen lesen zu können, macht einzig Sinn, falls es einen Sinn ergibt. bleibt er immer das Nämliche, wie bei variiert wiederholten Nachrichten oder zusammenkopierten Leitartikeln, läuft jeder Perspektivenwechsel ins Leere oder ruft eine Spiegelfechterei hervor. wer ein richtiger Kritiker sein will, braucht einen archimedischen Punkt. er muss sich die Welt vom Leibe halten, um sie anzuschauen, ohne von ihr gefangen zu sein.