mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

Pflanzen fristen in seiner Wohnung ein kümmerliches Dasein. sie bekommen nur alle drei, vier Tage Wasser und neue Erde ganz selten. dennoch halten sie sich seit Jahrzehnten und haben Umzüge überstanden. er hat sie nie verwöhnt, und besonders die Kakteen danken es ihm, indem sie mehrmals im Jahr blühen. anderen gelingt es nicht, weil sie zu viel erwarten und regelmässig giessen. seine Pflanzen leben wie sein Sohn, der häufig das aufgetischte Essen ablehnt, wohl von anderweitigen Nahrungsquellen. und er will als geduldiger Vater gar nicht wissen, um was es sich handelt, für was das Taschengeld ausgegeben wird. zu viel Empathie ist selten gut für Wachstumsprozesse. sogar bei den ziemlich resistenten Pelargonien, die im Sommer auf einer Fensterbänke unentwegt blühen, kann eine wohlgemeinte Pflege verheerende Folgen haben. er wollte sie einst überwintern und trug die Blumenkästen in eine Kammer, die von Heizungsrohren erwärmt wurde. dort versuchten sie im Dunkeln mit Paniktrieben einen Weg ins Licht zu finden und hatten sich völlig verausgabt.
aufwendig gedüngt und fleissig begossen zieren heute Blumen die Hinterhöfe. viele wollen hier ein Gärtner sein und in Berlin manche Mieter sogar Imker. sie halten sich auf ihren Dachterrassen Bienen für einen Honig, der gesünder sein soll als der vom Land, wo mit Pestiziden Äcker bespritzt werden. mitunter verirrt sich ein Schwarm der städtischen Bienen auf einen Spielplatz und will sich dort in einem Baum einnisten. auf dem vor seinem Haus liegenden fängt ein Imker wiederholt wilde Schwärme ein. mit einem speziellen Duft wird die Königin in einem Holzkasten verführt, auf dass ihr der Rest folgt.
frei vagabundierende Bienen darf es nicht geben und ebenso kein Unkraut. in seiner Kindheit wucherte es überall üppig und in den Grünanlagen in feuchten Sommern auch der Mohn. der Asphalt brach auf und die Gehwegplatten wurden von abstrakten Linien drapiert. es fehlte an gärtnerischen Pflegern, insofern freie Arbeitskräfte rar waren und keiner freiwillig das aufwendige Jäten verrichten wollte. ein Subbotnik als obligatorischer Frühjahrsputz reichte nicht aus, um das Wohnumfeld aparter erscheinen zu lassen. mit dem starken Gift Unkrautex waren allerdings manche erfolgreich. so schaffte es der Leiter der Cottbuser Pioniereisenbahn mit diesem Gift seine Gleise frei von Wildwuchs zu halten. leider gingen nach und nach viele Bäume in der Umgebung ein.
damit nichts ungezügelt wächst, wird mittlerweile der Boden gemulcht oder mit Kieselsteinen bestreut. man findet kaum noch Brennnesseln, obwohl sie bei einem milderen Klima und dem vielen Hundekot überall bestens gedeihen müssten. unbändige Freaks in der freien Kunst-Szene, die lange Zeit das Bild der Stadt prägten, sind ebenso entschwunden. es werden zu viele Preise und Stipendien ausgelobt. sie versprechen als verlockende Türchen eine Karriere, die wie eine Droge wirkt. wer als Talent abhängig wird, muss dann nicht nur up to date sein, er hat für jedes date bereitzustehen, ansonsten kommt die Vita nicht zu den wichtigen Ausstellungen, Biennalen und Verkaufserlösen.