mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

nicht Rock- sondern Orgelkonzerte berauschten ihn in seiner Jugendzeit. er war berührt und fasziniert, wenn er im Schweriner Dom auf einer harten Kirchenbank sass und die Pfeifen ihn orchestral umschallten. Organisten improvisieren gern und handwerklich meist perfekter als Jazzmusiker. ausserhalb von Gottesdiensten zeigen sie, was sie virtuos vermögen und was die Königin aller Instrumente hergibt. bei ihrem Aufspielen konnte er entspannt träumen und musste nicht wie bei den Rock-Muggen in Jugendklubs dicht gedrängt zwischen Schreienden ausharren. durch die Orgel wurde er für die klassische Musik sensibilisiert, die in seinem Elternhaus selten Gehör fand. seine Eltern bevorzugten Schlager im Radio oder gar nichts, weil sein Vater seine Ruhe haben wollte.
nun versuchen Mütter früh ihre Kinder für die Klassik zu begeistern. der Nachwuchs muss Klavierstunden nehmen oder zum Geigenunterricht gehen. seitdem das Klassikrepertoire als Gehirn-Doping bei der Kindesentwicklung angepriesen wird, besuchen sogar Schwangere Konzerte. ein Mozart oder Bach stimuliert angeblich bei einem Embryo die Nerven- und Blutzellen, weil das noch nicht geborene Kind mutmasslich alles mithört und vielleicht später ein berühmter Pianist wird. oder auch nicht. denn was davon tatsächlich beim Fötus ankommt, ist ziemlich ungewiss. Bauchdecke und Fruchtwasser dämpfen die Melodien, während das Herz der Mutter dröhnt und der Darm rumpelt. die heranreifenden Jungsporen hören da bestimmt einen heftigen Rock, der sie später davon abhalten wird in ein klassisches Konzert zu gehen. sie werden in einer Band spielen wollen, um ordentlich herumzulärmen.
da seine Mutter in ihrer Schwangerschaft mit ihm in kein Konzert ging, hat er nie die Chance gehabt, ein punkiger Rocker zu werden. er ist wie andere in seiner Generation beim trashigen Herumrocken gestrandet. zu Besserem hat es nicht gereicht. aber das Orgelspielen durfte er mal ausprobieren, während einer Rüstzeit in einer Kirche in Seifhennersdorf. die Register wurden nach einer kurzen Einweisung wie bei einem Schlagzeug bespielt, die Pedale getreten und mit der Faust die Tasten bearbeitet. er improvisierte sich einen deftig freien Spirit, einen Orkan, wie ihn keine E-Gitarre hervorbringt. jedes Instrument lässt sich wie die eigene Sprache dilettierend traktieren. man muss dafür nur in der richtigen Stimmung sein und sich an einem Gegenüber abarbeiten können. daran gab es in seiner Jungend kein Mangel. überall waltete in der DDR ein Gegenüber als Feindbild, das als Herausforderung zu surrealen Verdrehungen, lästerhaft obszönen Einfällen inspirierte.