mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

man verreist nicht mehr in fremde Länder, man besucht einfach die weltgrösste Tourismusbörse in den Berliner Messehallen. dort offerieren unzählige Aussteller mit Werbeprospekten und kulinarischen Leckerbissen das Exotische der Ferne, die als genuine Realität paradoxerweise immer weniger verlockt. wegen zu befürchtender Attentate, Pandemien oder einem islamischen Kidnapping bleiben Familien vorsichtshalber in der sicheren Heimat. sie verbringen ihren Urlaub bei Messe-Events, auf Landesgartenschauen und erholen sich in regionalen Biotopen auf einem Campingplatz. die weite Welt hat man in der Jugend entdeckt und begnügt sich nun mit der heimischen Flora. weil es viele so halten, wird es immer teurer. eine Woche Nordseewind kostet bei gepfefferten Übernachtungs- und Gaststättenpreisen fast genauso viel wie eine Woche Südsee, insofern sie früh gebucht wird.
einige verzichten ganz auf einen Urlaub und urlauben zu Hause auf dem Balkon oder im Kleingarten, wo es nur die sowieso zu zahlende Miete kostet. die Kinder fahren mit der Klasse in Jugendherbergen und manche sogar in eine Hostel nach New York, wofür das Sozialamt bei wenig Betuchten aufkommt. sein Sohn ist darauf nicht angewiesen, er entwirft sich an seinem Handy idyllische Residenzen, stets mit einem Swimmingpool inmitten einer hyperbizarren Natur. mit den Programm Minecraft phantasiert er sich eine gepixelte Welt zusammen, in der mit den richtigen Sheets Unglaubliches möglich scheint. derart virtuell und irgendwann als Hologramm wird sich vielleicht eine zukünftige Ferienzeit gestalten, falls es so weitergeht mit dem Klima- und Kulturwandeln. zur Eingewöhnung gibt es bereits ein simuliertes Südsee-Ambiente im brandenburgischen Tropical Islands. bis zu 6000 Besucher schnuppern in jener ehemaligen Werfthalle an Wochenenden Gewächshausluft. einst sollten hier Luftschiffe als schwebende Gross-Transporter gebaut werden. die Pläne entpuppten sich als ein Flop und nun ist das futuristische Gebäude ein Freizeitpark geworden, also die Illusion eines Ferienparadieses.
der Trend zum regionalen Landurlaub führt erfreulicher Weise dazu, dass wenn nicht weniger, so doch nicht allzu viel mehr geflogen wird. das Flugzeug ist, obwohl als modernstes Fortbewegungsmittel, leider das ineffizienteste. es verbraucht überreichlich Kerosin und bläst Treibhausgase besonders umweltschädlich in hohe Luftschichten. bei langen Reisen garantiert es zudem einen Jetlag, von dem man sich zwei, drei Tage erst erholen muss. ihm ergeht es mit der regionalen Landluft ebenso, wenn er kurzweilig in ihr verweilt. sie ermüdet ihn alsbald, so dass er nicht intensiv lesen und denken kann. tatsächlich muss er derartiges ja nicht an Wochenenden, da er bereits zu viele Bücher konsumiert und darüber sinniert hat. in der Natur darf ein urbaner Geist ein Fauler sein, ohne Gefahr zu laufen, hier auf die Dauer zu verfaulen.