mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

unter höflichen Menschen fühlt er sich nicht wohl. deshalb lebt er im ungehobelt sich artikulierenden Berlin und nicht in der Schweiz. dort hat er es wegen der weit verbreiteten Nettigkeit nicht länger als eine Woche ausgehalten. selbst beim stillen Wandern durch die das Gemüt erhebende Alpenlandschaft wurde er, so man auf leutselige Einheimische traf, schnell bodenständig. das ständige Grüssen, selbst wenn man sich gleich wiedersah, nervte ungemein. ebenso überforderte ihn der eidgenössiche Ordnungssinn. lange bevor es hierzulande eingeführt wurde, wurde in Schweizer Städten pedantisch Hausmüll getrennt, und sein Gastgeber, ein Student, war sogar bereit, lange Wege auf sich zu nehmen, um die richtige Tonne in der Stadt zu finden. dabei musste er ihn ungefragt immer begleiten.
als Max Frisch-Leser hätte er es wissen müssen. in seinen Büchern prangerte er unmissverstädlich die Kleinkariertheit und Igelmentalität seiner Landsleute an. er las es mehr als eine allgemeine Kritik und stellte sich die Schweiz als ein superdemokratisches, von der Kunst inspiriertes Eldorado vor. hier haben immerhin zahlreiche Avantgardisten eine Zuflucht gefunden. in Zürich konnte der Dadaismus sich entfalten und später in jeder kleineren Stadt die konkrete Kunst inmitten einer innovativ konstruktivistischen Architektur. auf ihre exklusiven Gestaltungen stiess er bei seiner Reise allerorten, doch wirkten sie recht solitär und haben nicht wie in anderen Ländern das ländliche Gepräge verändert. mit einer freiheitlich idealen Gesetzgebung wurde die Schweiz eine Insel für verfolgte und libertär gesinnte Emigranten, deren Gedankengut blieb hingegen den Einheimischen völlig fremd. das verhinderte wohl der Grössenwahn, im angeblich freiesten Land der Welt zu leben, und die stets distinguierte Höflichkeit, an der alles, jede Kritik und jedes revolutionäres Manifest abprallen muss.
ihm selbst fällt es schwer nett zu sein, man merkt sofort, dass es bemüht ist. fast jedes Loben überzeugt nicht, es ertönt unterschwellig ironisch. er kann sich noch so viel Mühe geben, sich an gemeinschaftsstiftende Konventionen halten, um dennoch als Unruhestifter dazustehen. der nette Smalltalk ist ihm eine Hürde, er muss Repliken für sich behalten und als ein Schweigsamer die geballten Neurosen seiner Gesprächspartner abwehren. mit Nachsicht oder Lässigkeit lassen sie sich nicht verdünnen. es sind elend langen Gespräche auszuhalten, welche schon mit dem dritten Satz einem die Luft nehmen.