mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

als Preusse ist er ein pflichtbewusster Bürger. es ist ihm eine Tugend, eine Arbeit ordentlich und pünktlich abzuschliessen. leider lässt sich beides selten vereinen. an fast jeder Deadline scheitert er, dieweil seine Produktion zu viel Zeit beansprucht. immer ist etwas zu verbessern, auch Verbesserungen erheischen Nachbesserungen. so kommt er bei Projekten regelmässig zu spät zu einem krönenden Ende. das könnte traurig stimmen, macht es aber nicht, weil er in Arbeit bleibt und sich weiterentwickelt. wer sich gut auszudrücken will und etliche Ideen hat, vermeint es immer noch besser zu können. er beneidet Leute nicht, die rechtzeitig ihre Kunst zu einem Ende bringen. es ist ihnen bestimmt egal, ob ihre Ergebnisse stimmig vorliegen. sie sind zwar zufriedener und leiden weniger unter Selbstzweifeln, kommen aber bloss zu kleinen Orgasmen.
er arbeitet gern bis zum Limit. sein niedriger Blutdruck nötigte ihn lange dazu, intensiv zu malochen. er durfte nicht zu viel sinnieren, ansonsten neigte der Kreislauf zu Schwindelgefühlen. da er nicht immer darauf achtete, passierte es ihn in jungen Jahren mitunter und er verlor dann sogar das Bewusstsein. als junger Vater mit einem permanent ungeregelten Nachtschlaf wurde es besonders schlimm und so suchte er einen Internisten auf. für die Diagnose musste er mit einer Apparatur an der Brust ins Bett gehen. die ganze Nacht piepste sie und mass die Herzfrequenz sowie den Druck der Arterien. zum Einschlafen kam er kaum und war am nächsten Morgen in der Arztpraxis völlig schlapp. als ihn die Sprechstundenhilfe mit elektrischen Saugnäpfen vermass, wurde es ganz arg mit dem Blutdruck und das Messgerät löste Alarm aus. der Internist eilte herbei und verabreichte ihm eine Spritze, damit er ihm nicht völlig wegknickte. er ersparte sich mit dieser Notbehandlung immerhin eine längere Wartezeit.
im späten Alter verhindert ein schlapper Kreislauf einen zu hohen Blutdruck. er kann immer noch mit Kaffee, viel Arbeit oder dem Aufregen über täglich zu ertragende Ungerechtigkeiten antreiben. letzte Reserven werden am Ende des Jahres, um endlich zu lang aufgeschobene Projekte anzugehen, herausgekitzelt. es gab Phasen in seinem Leben, die verbrachte er antriebslos und müde. in schwärmerischer Stimmung verträumte er sich die Tagesstunden und es reichte aus, von Arbeitsergebnissen zu phantasieren. er imaginierte sich auf diese Weise grandiose Traumbilder als ein fiktives Oeuvre. es ist davon auszugehen, dass es viele solcher Phantome gibt. Bücher von Schriftstellern, die nie geschrieben wurden und ebenso Bilder, welche ungemalt visionäre Ansinnen blieben, weil jemand zu früh verstarb oder andauernd für sich und seine Kinder jobben musste. viele Meisterwerke sind wohl deswegen verloren gegangen?