mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

an kühlen Novembertagen beschlagen die Fensterscheiben in seinem Arbeitszimmer. er muss die Heizung aufdrehen, damit er zu einem Aussenblick kommt. als Kind war die Kondensation ein passabler Malgrund, um mit den Fingern auf dem Glas etwas zu zeichnen. es verblasste alsbald oder konnten gleich weggewischt werden. in der Schule wurden gern Strichmännchen oder die Vagina-Raute hingekritzelt. manche spielten auch Tic-tac-toi. Räume waren überall überheizt und da es an Regulatoren für die Heizungen mangelte, wurden einfach die Fenster zur Kühlung geöffnet. auch in der Neubauwohnung seiner Eltern war es so. nur nachts wollte man wegen der von Kraftwerksschloten verpesteten Luft nicht bei offenen Fenstern schlafen. am Morgen war die Wohnung dann eine Sauna und der ständige Wechsel von sehr warm zu ganz feucht der Grund für manche Erkältung bei mir.
um unbeobachtet auszukundschaften, ob gute oder schlechte Freunde im Hof spielten, wischte er sich in seinem Kinderzimmer ein Guckloch auf das Fenster. oder er skizzierte auf das beschlagene Glas einen Stuhl, auf dem man nicht sitzen kann. es war ein Fahrstuhl, der in einem ständig wiederkehrenden Traum ohne Anzuhalten rotierte. so etwas geht nur in Paternostern, die er aus alten Filmen kannte. realiter gab es das Fahrstuhlfahren in seinem Umfeld nur in Hochhäusern. die eigene vierstöckige Neubauplatte hatte keinen, aber die benachbarte Wohnscheibe mit sieben Etagen in jedem Aufgang einen zugänglichen. mit Freunden fuhr man mit offenen Türen, ohne Licht und verweilten stundenlang zwischen zwei Stockwerken, da sich der Aufzug mit einem Trick blockieren liess. die Automatik konnte dafür leicht austrickst werden. solche Manipulationen waren ein Abenteuer und den Mietern ein leidliches Ärgernis, weil sie wie bei den häufigen Reparaturen dann Treppen steigen mussten. versprochen hat man den Schülern damals zukünftige Städte, in denen sich alle über Rolltreppen und Laufbänder bis zum Mars bewegen. stattdessen hat sich darauf das Schwitzen in Fitness-Studios durchgesetzt, um einen bei zu viel Medienkonsum geschwächten Kreislauf zu konditionieren.
nach der Wiedervereinigung ist er endlich mal mit einem richtigen Paternoster gefahren. eine Ortsbegehung für ein Kunstprojekt hatte ihn in das ehemalige Stasiarchiv in die Berliner Normannenstrasse geführt. dort war noch ein intakter mit permanent umlaufenden Kabinen in Betrieb. sie drehten sich vom Keller bis zum Dach und wie ein Rosenkranz wieder zurück. es musste natürlich mit dem Fotografen Thomas Kläber getestet werden, ob man eine Rundfahrt unbeschadet übersteht. das Experiment ging erfolgreich aus und war das einzig angenehme Erlebnis in diesem Haus. er plante eigentlich hier eine Installation mit einer hyperdimensionalen Aktenvernetzung aufzubauen und verhandelte jahrelang mit einem Angestellten. er hat immer wohlwollend auf Anfragen reagiert und nie eine Absage abgeschickt, aber eine Zusage auch nicht.