mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

eine Wohnung braucht einen Teppich. darunter kann bis zum nächsten Frühjahrsputz allerlei gekehrt werden. in seiner Weddinger Arbeitswohnung sind es vietnamesische Bastmatten, die überall ausliegen. er hat sie sich vor zig Jahren für die erste Bleibe angeschafft und sie sind nach einigen Umzügen immer noch ansehnlich sein Bodenbelag. viele schleifen sich aufwendig ihre Dielen ab und müssen sie wöchentlich reinigen. bei seinen Matten braucht er dies nicht. der Schmutz fällt einfach durch und bleibt den Augen verborgen, lediglich Staubflusen müssen abgesaugt werden. auch knarrt nichts, da der Gang selbst beim wilden peripatetischen Denken gedämpft wird. man kann jenen Teppichersatz noch in Baumärkten kaufen, nur hat er nicht mehr die gleiche Qualität und nennt sich nun Strohmatte.
in dem Haus seiner Familie gibt es keine solche Lärmdämmung und er höre hier stets zur Unzeit die Schritte der Mieterin von oben. sie stolziert in klappernden Absatz-Schuhen stundenlang durch ihre Wohnung. ihr Laufen ist, wenn er arbeitet oder liest, ein Gehen auf seinem Kopf. unkonzentriert fragt er sich oft, was sie ständig antreibt? ist es ein fanatischer Ordnungsfimmel, der sie auf der Suche nach liegengebliebenen Sachen hektisch durch ihre Zimmer wirbelt? er will sie nicht mehr auf ihr Lärmen hinweisen, weil er schon zu oft seinen Frieden eingeklagt hat. ein Schlagzeugspieler aus dem Nachbarhaus, der seit einem Monat sein mangelndes Talent auf Trommeln traktiert, lässt sich wohl ebenso wenig stoppen. zum Glück ist er nicht sehr ausdauernd bei seinen Übungen. einen Streit langwierig anzustreben, liegt ihm fern, obwohl für das Recht des Ruhesuchenden Urteile mit Richtungswirkung vorliegen und Dezimalwerte vorschreiben. gelegentlich wünscht er sich, ein wenig taub zu sein. ein Hörgerät könnte dann hinter dem Ohr ein- und ausgeschaltet werden, je nachdem, ob man es will oder nicht. als lärmempfindlicher Mensch beginnt er inzwischen die Wohnung zu reinigen, wenn Störgeräusche das Sinnieren verhindern. dabei kann er mit dem Schrubber oder einem Besen auch rücksichtslos agieren und den Lärm der anderen kompensieren.
für die leise Reinigung der eigenen Bleibe haben sich Roboter noch nicht durchgesetzt, obwohl sie als staubsaugende Vollautomaten preiswert vorliegen. sie sind zu störanfällig und ein Risiko für auf den Boden gefallene Kleinoden. schaffen sie es dennoch in viele Haushalte zu etablieren, können sie sich optimieren und intelligenter vernetzen. sie werden akkurat den Unrat einsammeln und nebenbei die Wäsche in den Schrank stapeln, nachdem sie zuvor Hemden gebügelt haben. beim komplexen Go-Spiel besiegt die künstliche Intelligenz jetzt sogar Grossmeister. eine Zeit lang wird sie uns devot ertragen und als Butler dienen, irgendwann aber bestimmt als vorlauten Unrat entsorgen.