mikado als symptom
sein erstes Fahrrad mit einer hochtourigen Gangschaltung war ein Rennsportrad. zufällig hatt er es in einem Fachgeschäft entdeckt und, da das Konto dank einiger Nebeneinkünfte solvent war, gleich gekauft. somit waren 30, 40 Kilometer ins Umland keine grossen Entfernungen mehr und bei wenig Autoverkehr ein entspanntes Unterwegssein. es durften nur wegen der schmalen Reifen keine Schottersteine auf dem Asphalt liegen. einmal stürzte er deswegen Kopf über den Lenker in einen Strassengraben. den Fall hat er gut überstanden, aber der Schlauchreifen im Vorderrad war geplatzt und musste ersetzt werden. doch das war im Mangelland DDR schwer zu bewerkstelligen. er fragte überall im Bekanntenkreis herum und bekam von einem Journalisten-Kollegen den Tipp, über eine geschäftstüchtige Fahrradhändlerin ein lobendes Porträt zu schreiben. er schrieb es und luchste ihr danach zwei der raren Schläuche ab. so funktionierte in dieser Zeit der Lokaljournalismus.
als Teenager hat er sich mit einem einfachen Tourenrad begnügen müssen und das auch beim Radsport in einem Verein. alle fuhren ein Rennrad, nur er nicht, weil er erst ein Durchhaltevermögen beweisen sollte. das gelang ihm auf täglichen Strecken von 50 Kilometer kaum. trotzdem hat er ein halbes Jahr hartnäckig die Pedalen getreten. nachdem er dabei im Übereifer bei einem Überholsprint einmal mit seinen Flügelmuttern die Speichen von zwei teuren Vereinsrädern durchschnitt, hätte ihn der Klub keinesfalls als Mitglied mehr akzeptiert und so gab er das Training auf. freilich nicht das umtriebige Fahrradfahren, selbst als es nach der Wiedervereinigung gefährlicher und unwegsamer auf den Strassen wurde.
er bevorzugt mittlerweile ein altes Damenrad, das für Diebe unattraktiv ist. mit ihm ist er im Feierabendverkehr bei Abkürzungen auf Fusswegen genauso schnell wie ein Auto. seine früheren Gangschaltungen, die harte Besschleunigungen erlaubten, vermisst er freilich. die neuen werden aktuell in der Radnabe eingebaut und spannen die Kette nicht. das Hinterrad muss kontinuierlich nachgestellt werden. ist der Spielraum erschöpft, wird aufwendig aus der Kette ein Glied entfernt. dafür braucht man, will man nicht viel Geld in einer Werkstatt ausgeben, handwerkliches Geschick und für das Nieten ein spezielles Werkzeug. Fahrräder sollten eigentlich kostenlos für Stadtbewohner gewartet oder umsonst bereitgestellt werden. denn Tüftler haben jetzt herausgefunden, dass jeder mit einem Bike seinen eigenen Energie-Bedarf ertrampeln kann. in zwei Stunden wäre ein Akku mit einer eingebauten Lichtmaschine aufgeladen, der den Strom für das Hauslicht, den Computer, den Toaster liefert. Fahrradfahrer könnten, wenn man sie liesse, die bevorstehende Klimakatastrophe um einige Jahrzehnte aufschieben.