mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

an einem verregneten Sonntag beansprucht er ein Ei auf dem Frühstückstisch. es ist zum spartanischen Toastbrot ein Aufputschmittel. auch wenn kein Kater, kein Burnout peinigt, kommt er an einem wetterlaunischen Wochenende schwerlich in die Pötte. dem Umfeld fehlt die Betriebsamkeit und das steckt an, überträgt sich auf das Gemüt. die Zeitung verspricht keine anregende Ablenkung, wenn Artikel vorproduziert und auf entspannend getrimmt sind. sehr schlimm wird es, wenn Feiertage sich um ein Wochenende gruppieren, dann fehlt der rechte Drive eine ganze Woche lang, so dass nachhaltig die Arbeitslust gehemmt wird. in der Osterzeit ist es regelmässig der Fall, obwohl sich alle mit bunt aufgetischten Eiern, den cholesterinreichsten Lebensmitteln, ausgiebig puschen.
in seiner Lausitzer Heimat werden sie an den Feiertagen der Kreuzigung nicht nur gefärbt, sondern einer sorbischen Tradition gemäss ornamental verziert. im Schulhort hat er so ein gekochtes Ei immer selbst gestalten dürfen. es braucht dafür nur eine Kartoffel, einen Alulöffel und eine Kerze. die Kartoffel dient halbiert als Halterung für den zu knickenden Löffel, unter dem eine Kerze abgekratztes Wachs verflüssigt. tropfenweise wird es auf die Eischale als Muster aufgetragen und nach dem Färben wieder entfernt. der Wachs-Auftrag erzeugt immer die vorherige Farbe als Dekor und schmückt am Ende filigran meliert in Schalen oder an Sträuchern aufgehängt das Auferstehungsfest, das eigentlich ein heidnisches Feiern ist, bei dem von traditionsbewussten Sorben auch das Osterwasser geholt wurde. es soll für eine feine Haut und ein langen Leben sorgen, macht es aber mit Sicherheit nicht, da es für die meisten nicht frisches Quellwasser, sondern der Codename für einen hochprozentigen Klaren war, den man sich nicht erst am Abend genehmigte.
gegen die Gesundheit wurde gern gesündigt, als es noch keine health correctness und keine besseren Drogen als den gemeinsam genossenen Alkohol inmitten von qualmenden Zigaretten gab. man wollte die Zeit richtig verprassen, exzessiv feiern und danach bis in die Puppen schlafen, aufdass sich Probleme von selbst erledigen und das Leben wieder neu beginne. der Leib regeneriert sich in Ruhephasen ja von allein und bleibt nur in der Einbildung derselbe. in jeder Sekunde werden irgendwelche Zellen erneuert, damit sich der Mensch alle sieben Jahre runderneuert. für nahezu jedes Organ oder Gewebe existieren Stammzellen, welche für steten Nachschub sorgen. der Besitzer nimmt es erst wahr, wenn sich die Wiederherstellung verlangsamt und der Verfall einsetzt. die allmähliche Deformation ist dann zu akzeptieren, so wie sich die eigene Unterschrift im Laufe der Zeit gravierend in eine unleserlich krakelige ändert. derweil er seine Schrift auf Notizzetteln noch selbst lesen kann, stört es ihn nicht, und für offizielle Mitteilungen liegt schliesslich überall eine Tastatur mit Autokorrektur vor.