mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

als Teenager war er begeisterungsfähig, begriff schnell und, wenn etwas in der Schulzeit wiederholt erklärt wurde, langweilte er sich unsäglich. um den Unterricht nach der Mittagspause verlassen zu dürfen, reichte es aus, über starke Kopfschmerzen zu klagen. also hatte er oft welche und las zu Hause seine Bücher oder sah sich Filme im Fernsehen an. wer einfach so schwänzte und einen Entschuldigungszettel mit gefälschter Unterschrift vorlegte, flog alsbald auf. die Eltern wurden zum Direktor bestellt und es gab unangenehme Standpauken für den Schwänzer. als Lehrling brauchte er für eine Freistellung die abgestempelte Krankschreibung vom Arzt. er ging zum nächsten und war am Freitag nicht der einzige in seiner Klasse. das Fieberthermometer wurde warm gerieben oder an der Heizung auf die entsprechende Temperatur gebracht.
als sich wegen eines tatsächlichen Leidens, einer Nasennebenhöhlenentzündung, eine HNO-Ärztin gleich zwei Wochen krankschrieb, ging er freiwillig zum Unterricht. erst in die Fächer, welche ihn interessierten und später sogar in die ungeliebte Russisch-Stunde. er wollte nicht den Anschluss verpassen und seinen guten Willen demonstrieren. spontane Leistungskontrollen sowie Mitarbeitsfragen lehnte er ab. vom Unterricht war er ja freigestellt und nur ein Gast. das passte manchem Lehrer nicht, und es wurde lange diskutiert, ob man freiwillig zur Schule gehen darf. die strengen Pädagogen pochten auf ihre Autorität, die sie mit dem Druck von unverhofft zu vergebenen Zensuren aufrechterhielten. häufig begann der Unterricht damit, dass ein Lehrer im Klassenbuch lange einen Namen heraussuchte, um irgendwen an die Tafel zu zitieren, der die letzte Stunde zu referieren hatte. es wurde streng benotet und war ziemlich gemein.
unter solchen autoritären Auswüchse muss er heute nicht mehr leiden, aber mit seinem Drang zur Freiwilligkeit hat er weiterhin Probleme. wer wie er in einer Gesellschaft, in der alles einen Preis hat, ohne Bezahlung arbeitet, verstösst gegen das Leistungsprinzip. er nimmt professionellen Dienstleistern Aufträge weg und dies sogar im Kulturbetrieb. ohne privates Vermögen vermag derartiges kaum jemand umsonst, so dass es keine unabhängige open-source-Szene bei den Programmierern und im Internet immer mehr Texte gibt, für die etwas zu bezahlen oder viel Werbung zu akzeptieren ist. für Menschen, die gern frei- und eigenwillig malochen, scheint ein bedingungsloses Grundeinkommen unumgänglich. Ökonomen haben ausgerechnet, dass es bezahlbar und für die Gesellschaft effektiv wäre. leider trauen die politischen Entscheidungsträger vielen Leuten nicht zu, dass sie ohne Druck arbeiten würden. dabei müssen es bereits die meisten Kulturschaffenden in Zweitjobs, so nur wenige ein festes Gehalt beziehen und der Rest sich unauffällig mit Sozialleistungen bescheidet. wer nicht darauf angewiesen ist, wird von reichen Eltern oder einem gutverdienenden Ehepartner ausgehalten.