mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

ein elegisches Adagio kann ein Balsam für die heranwachsende Seele sein. in seiner Schule war die klassische Sinfonik aber nur ein Gaudi. nach einem anstrengenden Lernen in den anderen Fächern erholte man sich im Musikunterricht ausgelassen. Papierflieger wurden gefaltet und, wenn die überforderte Lehrerin sich zur Tafel umdrehte, in ihren Rücken geworfen. oder es schnellten, von einem Katapult abgefeuert, Kaugummis gegen die Wände. beim Vorsingen verzerrten die Jungen absichtlich ihre Stimme und verwiesen auf einen Stimmbruch. in diesem Unterricht gab es vor nichts und niemandem Respekt. sogar die Porträts von Schostakowitsch und Schubert entstellte man im Lehrbuch mit einem Udo Lindenberg-Hut oder Walter-Ulbricht-Bart. erst in der achten Klasse änderte sich das pubertäre Gebaren. eine neue, junge Lehrerin verstand es, für den Blues zu begeistern. durch mitgebrachte Platten lenkte sie das Interesse auf Anspruchsvolleres als die Disko-Musik. man wurde Fan von Muddy Water oder Bessie Smith und verstand die Rockmusik allmählich besser.
später begegnete er seiner ersten unbeliebten Musiklehrerin wieder. sie hatte ihren Beruf aufgegeben und entschied nun als Assessorin über den Einlass in einem Klub der Intelligenz. da er kein Mitglied war, wurde er von ihr oft hinauskomplimentiert. leider bekam man, während andere Lokalitäten bereits geschlossen hatten, einzig in jenem Klub nach Mitternacht noch ein Bier unter Bekannten. sein Bleiben in den anheimelnden Sesseln des Etablissements war leider unerwünscht, sogar als er als Journalist eine gewisse Autorität verkörperte. auf eine Mitgliedschaft, die als offizieller Intelligenzler ein unkompliziertes Verweilen garantiert hätte, verzichtete er aus Stolz und hätte sie sich bei einem akuten Geldmangel nicht leisten können.
manche Dauergäste in diesem Etablissement waren beflissene Stasi-Zuträger. so auch der Leiter seiner Bezirksredaktion, welcher verwegen bei Diskussionen auftrat und den Ton mit überkritischen Statements angab. in solche Sprechblasen wollte er nicht einstimmen und blieb wortkarg oder kakophonisch unbestimmt. letzteres war für seine Generation typischer. man hatte sich der avantgardistischen Kultur verschrieben und weniger einer bildungsbürgerlichen Distinktion. für eine freisinnige Gesellschaft sollte die Autonomie der Kunst an die Macht kommen. obwohl die Ästhetik von Adorno noch zu lesen war, glaubte er daran. seine Instanz war die inspirierende Bierschwemme, das Philosophieren mit Hegel und ein ständiges Planen von Projekten. er formulierte Sätze über das Ich, über die Welt, und verkündeten in politischen Diskussionen kühn, dass keine Korrespondenz mehr zwischen der Sprache und den Dingen bestehe. es war ein punkiger Sound mit einem Daseinsüberdruss, der wie in Sartes Ekel daran litt, dass sich die Dinge in einem monadologischen Ansich nicht für ihn interessierten.