überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

die Musik meiner ersten Tanzversuche wurde durch eine Quote bestimmt. es durfte nur zu 40 Prozent das begehrt Rockige aus dem Westen erschallen. bei der wöchentlichen Disko, die man ganz dieseitig mit einem k schrieb, bekamen wir sie gemixt mit den Titeln von DDR-Bands wie den öden Puhdys angeboten. die pfiffigen Diskjockeys legten den ostdeutschen Beat am Anfang auf, als noch keiner tanzte und zunächst die Anwesenden gepeilt wurden. im Internat spielte ich bei einem Heimfunk-Programm, für das in jedem Zimmer ein Lautsprecher über der Tür hing, einfach meine Favoriten vor der Nachtruhe ab. tagsüber ertönten hieraus Verlautbarungen der Erzieher und jeden Morgen ein unangenehmer Weckruf. wir ignorierten bei unserem Programm abends die obligatorische Quote für die DDR-Musik völlig und hatten begeisterte Zuhörer. weilten strenge Lehrer oder gar der Heimleiter im Haus, benutzten wir die einheimischen Titel einfach als Soundtapete für unsere Ansagen und konnten somit das Verhältnis als Anschein wahren. auf Kassetten spulte ich mir dafür, da ich keine Westplatten besass, meine im Radio mitgeschnittenen Titel mühsam an die richtige Position.
mittlerweile sind Quotenregelungen verschlagener. sie nennen sich Playlists und umfassen angesagte Titel, welche nachhaltig überall beworben werden. die Musikindustrie erzielt mit ihnen ihre höchsten Erlöse, so dass es aussergewöhnliche Angebote schwer haben, ein breites Publikum zu finden. sogar bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es weniger Sendezeit für eine authentische Welt- und Ethnomusik, obwohl sie einem Kulturauftrag verpflichtet sind und mit der GEZ pauschal bezahlt werden. seitdem auch ihre Sendungen vorweisbaren Erfolgszwängen unterliegen, werden zunehmend poppige Ohrwürmer gesendet. selbst mein Kulturradio passt sich jenem Trend an und dudelt mit den immergleichen Opern und Sonaten, mit populären Klassik-Hits und kleinteiligen Sätzen. erst in späten Abendstunden lässt es sich auf eine Stunde experimentellen Jazz ein und nach Mitternacht ab und an auf Zwölftöniges von Schönberg. zu wenige Hörer interessieren sich dafür und daher muss es wohl so sein, dass erst die Nachtbummler sie über den Äther hören.
doch was soll's, einen quotenmässig geregelten Pflichtteil für anspruchsvolle Musik oder generell für eine niveauvolle Kunst einzuführen, wäre keine kluge Entscheidung. was die Masse goutiert, ist schnell verbrannt und dann nichts Feinsinniges mehr. Piet Mondrian prangt auf der Haarpflegecreme von L'Oreal, den Deckel einer Staud-Marmelade schmückt ein Selbstportrait von Egon Schiele und Leonardos Gioconda ist auf Untersetzern für Schnapsgläser zu finden. ich mag solche Ikonen der Kunst kaum noch sehen, da sie als billige Imitate zu präsent sind. als Originale werden sie in viel beworbenen Blockbuster-Ausstellungen gezeigt und von einem Massenpublikum en bloc konsumiert. in jungen Jahren waren für mich die Bilder der alten und neuen Meister eine Einstiegsdroge, nun sind sie Schlaftabletten, da sich fast jeder mit ihnen identifizieren kann.