überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

perfekt läuft selten etwas bei mir, aber es muss ja. an meinem Fahrrad zum Beispiel ist immer irgendwas defekt und wird bei den obligatorischen Touren durch die Stadt ignoriert. Polizisten verdonnerten mich bisher zu einigen Strafgeldern, weil ich auf abendlichen Strassen vorn ohne Licht fuhr. obwohl alles durch Bogenlampen in der Stadt ausreichend beleuchtet wird, muss eine Funzel die Sicht erleuchten. hinten sieht man es ein und es ist bei mir, nicht wie offiziell vorgeschrieben, das schlichte Rot, sondern ein stakkato-mässig blinkendes.
einmal sollte ich mit einem Rad, einem verwegen zusammengebastelten, zu einer Kfz-Zulassungsstelle, um es nach einer Aufrüstung verkehrstechnisch vorzustellen. ich habe mir den Besuch verkniffen, ich wollte damit nicht den autoversierten Prüfern unter die Augen treten. sie hätten es für einen schlechten Witz gehalten oder weitere Mängel festgestellt und mich erneut sollizitiert. meine Fahrräder waren stets mangelhaft und so wird es wohl blieben. ich bin froh, wenn ich keinen Platten habe. ohne Helm und energetischen Schutzschirm wage ich mich Tag für Tag als potentieller Organspender in ein motorisiertes Getümmel, immer besonnen vorausschauend, um nicht unter PS-starke Räder zu kommen.
bei meiner Arbeit ist dies anders. hier riskiere ich Zusammen- und Abstürze, denn was missglückt, ist meist interessanter als das routiniert Gelungene. es sind wie in der Natur Fehler nicht nur nicht vermeidbar, sie sind ein evolutionäres Erfordernis dafür, dass Weiterführendes entsteht. funktioniert etwas nicht richtig, zeigt es erst, wie es tatsächlich funktioniert. bei Sondersendungen, die im Fernsehen ohne die übliche Vorbereitung zustande kommen, wird es besonders deutlich. der ansonsten eloquente Sprecher hat plötzlich nichts zu sagen, weil der Teleprompter streikt, oder er verhaspelt sich radebrechend, falls ein live zugeschalteter Korrespondent offline bleibt. menschliches Versagen kann zu interessanten Abweichungen führen. wo es gefährlich wird, sollte es freilich mit Vorschriften und Bedacht unterbunden bleiben. manches nächtliche Phantasieren muss ich deshalb am Morgen ausbremsen, auf dass sich nicht alles in einer solipsistischen Obsession auflöst.
störende Unstimmigkeiten erhellen auf überraschende Weise, wie eindimensional technologische Apparate optimiert sind. in der Kunst arbeite ich gern mit Hacks und gefakten Programmierungen. meine Software passt dem Computer nicht immer und trotzt ihm dann ungewöhnliche Ergebnisse ab. nur mit jedem Update wird es schwieriger, Lücken für eigenwillige Experimente zu finden. politische Aktivisten hoffen ebenso auf gravierende Mängel im sozialen Gefüge, die vielleicht einen politischen Umbruch auslösen. das politische System ist allerdings lernfähiger geworden und gleicht Verwerfungen rechtzeitig aus, so dass jedesmal die erhoffte Revolution ausbleibt. es ist ein ewiges Katz- und Mausspiel, derweil jeder Fehler früher oder später systemkonform ausbalanciert wird.