überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

man soll niemals nie sagen. doch manche Ansprüche müssen kategorisch behauptet werden. ein blosses Nein ist zu zahm, zu unmassgeblich, vor allem in jungen Jahren. zum Ärger seines Vaters wollte er als Pubertärender nie Geld verdienen, obwohl er wusste, dass man es ein bisschen muss, wenn man kein Schnorrer sein will. es sollte nicht das primäre Ziel sein und hat ihn als Vorsatz nicht davon abgehalten, durch bezahlte Ferienjobs das Taschengeld aufzubessern. ebenso hat er es mit einem vertretenen Pazifismus gehalten, mit dem er als Abiturient kühn verkündete, dass er keinen Armeedienst mit einer Waffe akzeptiere. es wäre nur als Bausoldat möglich gewesen, wobei man dann Schiessplätze ausheben musste. für eine völlige Verweigerung landete man im Knast und bekam danach erneut einen Einberufungsbefehl. den Zivildienst als Äquivalent gab es bis zum Ende der DDR nicht. aber man konnte die Armee auch einfach prolongieren.
ein Bekannter hat in seiner wilden Punk-Zeit seine Einberufung schlichtweg ignoriert und nichts passierte, da das zuständige Wehrkreiskommando wohl glaubte, sich in der Adresse geirrt zu haben. chaotisch ging es in jenen Amtsstuben zu, als ohne Computer noch keine Daten zentral erfasst vorlagen, nur Unmengen an Karteikarten, die nicht immer korrekt ausgefüllt und verschickt wurden. namentliche Missverständnisse waren eine unangenehme Plage und wurden wegen den sich daraus entwickelnden Komplikationen lieber unter den Teppich gekehrt, so dass manche erfolglose Rekrutierung auf Nimmerwiedersehen verschwand. zudem lag ab 1985 eine nicht veröffentlichte Anweisung des Verteidigungsministers vor, die Totalverweigerer aus der Haft zu entlassen. er hat nicht den Mut gehabt, sich gegen die Einberufung zu stellen und brav einen Dienst in der Mecklenburgischen Provinz abgeleistet, bei obligatorischen Schiessübungen indessen nie auf menschliche Attrappen gezielt, stets daneben und deswegen weniger Urlaub bei mehr Wachdiensten bekommen.
im Show- sowie Politikgeschäft ist der Satz: "man sollte nie nie sagen" ein gutes Bonmot. es werden augenzwinkernd Statements relativiert, die somit, ohne dass es übel genommen wird, zu keiner Festlegung zwingen. wenn ein klares Nein zur unpopulären Vorratsdatenspeicherung ausbleibt, kann sich nachträglich niemand darüber aufregen, dass es wie bei der mitregierenden Sozialdemokratie plötzlich aus Koalitionsgründen ein pragmatisches Ja wird. im Vorfeld werden die Bälle jongliert und im Ernstfall fallen gelassen. bei talentierten Fussballern, die einem schwachen Verein dienen, wird mit der offen gehaltenen Vermutung auf einen Transfer zum FC Bayern der eigene Wert erhöht. es könnte ja bäldigst zutreffen und somit muss was dran sein. wer zu verbindlich Nie sagt, ignoriert leichtfertig seine Zukunft, von der er in der Gegenwart zu wenig weiss. weitreichende Aussagen formuliert man lieber relativ zu einem Hier und Jetzt, damit sie frei interpretierbar bleiben. jede Meinung kann sich ändern, solange sich das Umfeld verändert. so sollte es jedenfalls sein.