überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

in seiner Lausitzer Heimat sind die Orts- und Strassenschilder zweisprachig. sie sorgen bei Fremden für lange Gesichter, da auf der Autokarte und im Navigator alles nur einen Namen hat. die doppelte Benennung ist Touristen verdächtig, wird nachgefragt und selten richtig ausgesprochen. es sind neben den sorbischen auch bei den deutschen Namen, wegen ihres slawischen Ursprungs, unübliche Buchstaben-Kombinationen zu artikulieren. unklar ist, ob man zum Beispiel Kackrow auf der letzten Silbe betont oder, obwohl es peinlich klingt, die erste. noch verwirrter scheint der Ortsfremde in der Spreewald-Gemeinde Burg, die nach Düsseldorf als zweitgrösstes Dorf einen wahren Schildbürgerstreich bereithält. an einer Kreuzung wird man mit vier Wegweisern konfrontiert, auf denen stets Burg geschrieben steht. die Einheimischen schmunzeln über daraus entstehende Irritationen. sie wissen, dass hier das heimliche Zentrum ihrer 35 Quadratkilometer grossen Streusiedlung liegt und man in Burg bleibt, egal welchen Abzweig für welchen Ortsteil man wählt. das slawische Idiom sprechen sie wegen mehrfacher Reformierungen selber selten korrekt aus. man kommuniziert deutsch und durch ein eingeschobenes 'wa' und an Substantiven angehängtes 'e' recht verbrämt.
die primäre Muttersprache, das Sorbische, ist wenigen vertraut und wird als Mischmasch vornehmlich von den Alten gebrabbelt oder langatmig bei Volksfesten auf Bühnen vorgetragen. regionale Schriftsteller wie Jurij Koch schreiben ihre Bücher zuerst in Deutsch und lassen sie danach von Lektoren übersetzen. seit langem steht der Slawe in der Lausitz staatlich unter Schutz und seine Sprache wird an einem sorbischen Gymnasium vermittelt, wo sie Neueinsteiger erlernen können oder müssen, falls sie wegen einem mässigen Zensurenschnitt dort ihr Abitur machen wollen. somit lernen es viele unfreiwillig, sprechen es ausserhalb der Klassenräume nicht und nach bestandenen Prüfungen ganz, ganz selten. seitdem das Leben urban zu sein hat und die Jugend eine globale Job-Karriere anstrebt, wird für eine hohe Flexibilität das Englische favorisiert.
dabei wäre es weiterhin möglich, hypermodern der Heimat treu zu bleiben. einer spontanen Idee folgend, vermass er mit einer Freundin mal sein Lebensumfeld mit einer vierdimensionalen Markierung. er wählte sich 16 Orte auf der Landkarte aus und versahen sie mit vier verschiedenen Farben. danach wurden sie untereinander derart verbunden, dass sich von jedem Punkt aus alle Farben erreichen liessen. per Auto hat er die ausgewählten Ziele bereist und an ihren Ortseingangs-Schildern mit Klebestreifen markiert. nach und nach zeichnete sich gemäss unserem Plan ein Hyperraum in die Landschaft. mit dieser Intervention konnte man jede Stadt und jedes Dorf mit der Option von vier alternierenden Richtungen verlassen. eine solche Reise skizzierte ein Netzwerk von potentiellen Routen, welche die 32 Kanten eines Hyperwürfels generierten. als alle Schilder gekennzeichnet waren, hatte er einen urbanen Raum mit einem Optimum an Freiheitsgraden durchquert. die Lokalpresse berichtete über diese Aktion, und somit war sie sanktioniert und keine Sachbeschädigung.