überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

für ein Mediationsbüro sollte er gestern in einer Neuköllner Schule Konfliktlotsen beraten. in Problemkiezen braucht es derartige Ordnungskräfte, da permanent etwas auf dem Pausenhof zu schlichten ist. um frustrierte Pädagogen zu entlasten, werden sie monatlich geschult. doch die Lehrer wählen wahrscheinlich Kinder dafür aus, die selbst der Grund für aufreibende Probleme sind und sich in der Funktion eines Lotsen disziplinieren müssen. obwohl enthusiastisch angegangen, geriet seine Beratung, bei der es genau genommen um die Gestaltung von Plakaten ging, für ihn zu einer Tortour. er musste in der früh aufstehen und ab acht Uhr eine Gruppe junger Menschen bändigen, d.h. beständig beeindrucken. einzig so waren sie erreichbar. sie wollten rumtoben und sich über Computerspiele austauschen, indem sie laut ihre Avatare imitierten.
wer davor bestehen will, hat sich in der Spielewelt auszukennen und am Abend zumindest einen Bubble Shooter zu gamen. nur das Erregungspotential muss irgendwann gedämpft werden, wenn ein Highlight das nächste übertrumpft. Pädagogen vermögen es selbst am Wochenende nicht und sind mit einem schwachen Immunsystem häufig krank. die noch gesunden haben unzählige Vertretungsstunden zu geben, so dass auch bei ihnen die Belastung ins Unerträgliche wächst. gleichwohl bleibt der Lehrerberuf attraktiv und dies nicht allein, da er einen sicheren Verdienst und die Verbeamtung verspricht. wer sich dazu freiwillig entscheidet, möchte vielleicht einiges besser machen als die in der Kindheit zu erleidenden Pauker und plagt sich dann aus Naivität oder wegen einem unterschwelligen Masochismus vor zu grossen und zu lauten Klasse ab.
in einem solchen Umfeld können Pädagogen sich erst behaupten, wenn sie mit dickhäutiger Gelassenheit ihr Konfliktmanagement entwickeln. anspruchsvolle Eltern versuchen, Aufmerksamkeits-Defizite bei ihren Kindern mit Nachhilfestunden zu lösen, oder sie ignorieren sie und wollen, dass es der Lehrer im Unterricht gleichfalls so handhabt. sie verlangen, dass ihr Nachwuchs auf jeden Fall das Abitur macht, um später zu studieren. eine Berufsausbildung wird als Versagen angesehen, und das Lamentieren über Schulen, wo keine guten Zensuren erzielt werden, ist immens. er hat es sich als Vater oft anhören müssen und meidet daher Menschen mit schulpflichtigen Kindern. die obligatorischen Elternabende sind eine Qual, wenn stundenlang über das Hausaufgaben-Aufgeben und die richtige Unterrichtsgestaltung diskutiert wird. jeder weiss es besser und belegt es mit den verklärten Erfahrungen aus seiner Schulzeit. setzt sich eine starrsinnige Mutter nicht durch mit ihren Forderungen, schickt sie dem Schulleiter eine deftige Beschwerde. klappt es danach noch immer nicht mit dem richtigen Zeugnis, wird die Bildungsanstalt gewechselt oder an das Amt eine juristisch abgesicherte Eingabe geschickt.