überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

charmante Werbekampagnen versuchen der Jugend das Lesen schmackhaft zu machen. in der Schule werden Punkte für den freiwilligen Lektürefleiss vergeben, in Buchhandlungen Lese-Quartette veranstaltet und schicke Flyer rufen dazu auf, sich zu poetisieren. doch mit was für einem kläglichen Erfolg. die meiste Zeit verbringen Teenager vor ihrem Computer, um Spiele zu spielen oder schrille Filme zu gucken. der Absatz an Büchern geht zwar nicht zurück, wird aber unterhaltend anspruchsloser, und die wenigsten Eltern sind gegen diesen Trend ein überzeugendes Vorbild. entweder lesen sie selbst kaum oder sie haben zu viele Bücher in einer abschreckend fulminanten Hausbibliothek und überfordern damit den eigenen Nachwuchs.
seiner Generation hat man das freimütige Lesen mit einer grottenschlechten Literatur, die sich sozialistischer Realismus nannte, vermiesen wollen. schreckte es nicht ab, wurde wie in seiner Familie gedroht, dass zu viele Bücher den Augen schaden. seine Mutter nannte ihn abfällig Professor Leseratte, wenn er mit einem Packen Literatur aus der Stadtbibliothek nach Hause kam. letztendlich haben solche Schmähungen nur dafür gesorgt, dass umso mehr gelesen wurde. besonders am späten Abend unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe. auf dass es unbemerkt blieb, hatte er sich einen Trittschalter vor der Tür installiert. näherte sich seine Mutter, war er sofort informiert und schaltete auf Dunkel. um nicht von dem schnelleren Stiefvater überrascht zu werden, automatisierte er die Warnanlage mit einem Relais, das eine Leselampe sofort vom Strom trennte. es wurde allerdings entdeckt und musste nach einer gehörigen Standpauke abgebaut werden. er hatte dummerweise vergessen, das Schlüsselloch zu verstopfen.
Eltern müssen der Jugend wieder das Lesen verbieten oder zumindest erschweren, vielleicht interessiert sie sich dann leidenschaftlicher für gedruckte Zeilen. oder man weist ständig darauf hin, dass sie für bestimmte, vornehmlich die erhellenden Bücher zu jung sei. es wird ja oft das Gegenteil erreicht, wo man restriktiv mit Verboten erzieht. bei seiner jüngeren Schwester hat es lange Zeit geklappt. er konnte ihr unangenehme Aufgaben wie das Aufräumen schmackhaft machen, indem er ihr dafür die Kompetenz absprach. bei seinen Söhnen, die wenn überhaupt, dann nur freiwillig Comics oder Fantasy-Romane lesen, traut er sich nicht, solches auszuprobieren. es könnte nach hinten losgehen und bei seinem Jüngsten, welcher ihn gut durchschaut, als Resignation eingestuft werden. er wartet einfach ab und hoffe auf eine Wende in ihrem Medienkonsum. über dreitausend Bücher hat er zu vererben, und darunter zahlreiche Raritäten. jenen Fundus stellte er mühselig in Antiquariaten und auf Trödelmärkten zusammen. schlimmstenfalls landet alles nach seinem Ableben im Altpapier-Container oder es wird, wie bei vielen Hausbibliotheken nun üblich, der komplette Bestand für nichts verramscht, um auf dem Trödelmarkt zu landen.