überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

wenn er als junger Bastler etwas mit Widerständen und Dioden austüftelte, dann war rot blau und plus minus. er musste es sich derartig merken und durfte Drähte beim Löten keinesfalls verwechseln. vor allem als sie während seiner Berufsausbildung überkomplex bunt wurden. in einem Fernmeldeamt gab es nicht nur farbige, für abertausende Verbindungen auch gemusterte Drähte. dementsprechend grossflächig lagen Schaltpläne für die Orientierung vor. mit ihnen sollte eine Technik, die museal ratterte und klapperte, gewartet werden. unzählige Relais-Spulen mit verwickelten Gegeninduktionen steuerten das Telefonieren. was inzwischen mikrokleine Schalter in einem Prozessor-Chip erledigen, wurde weiträumig mit unzähligen Hebdrehwählern mechanisch vollbracht. sie waren andauernd zu reparieren oder, falls Ersatzteile fehlten, rigoros abzuschalten. der schlechte Zustand der Anlagen überredete zu zahlreichen Kaffee-Pausen. die angestellten Techniker konnten sich stets mit unlösbaren Problemen herausreden und der Chef akzeptierte es wohl oder übel, da er wenig Ahnung hatte und keine Ersatzteile zu organisieren verstand.
in solch einem Milieu sollte er das Arbeiten erlernen, um als zukünftiger Ingenieur die sozialistische Produktion voranzutreiben. seine Mutter wollte nicht, dass er trotz Einser-Zensurenschnitt auf ein Gymnasium kam (Erweiterte Oberschule hiess das damals). er sollte in die Lehre gehen und beizeiten Geld verdienen. mein leiblicher Vater, der bis zu meinem Erwerbsleben Alimente zu zahlen hatte, riet mir gleichfalls von einem Studium ab. als Kompromiss wurde eine berufliche Ausbildung mit Abitur anvisiert und konnte erst nach mehreren Bewerbungen, als jemand kurzfristig absprang, in Schwerin beginnen. viele hatten jenen kombinierten Gymnasialabschluss unfreiwillig gewählt, da ihr Zeugnis nicht für Besseres reichte. er war einer der wenigen technisch vorgebildeten und jemand, der sich für den Beruf wirklich interessierte. bereits in jungen Jahren hatte er mir mit einem Freund vom Nachbareingang eine Telefonverbindung zusammengebastelt und später eine Lichtorgel, mit der er als Diskjockey in der Schule auftrumpfte. in seiner Klasse war er jedoch am Ende der einzige, der nicht das Fach Nachrichtentechnik studierte. er entschied sich, um ein passionierter Tüftler bleiben zu können, für den steinigen Weg der freien Kunst.
seine einstigen Klassenkameraden haben alle die geradlinige Karriere gewählt und sind nach ihrem Studium mit einem sicheren Lohn auf Lebenszeit bei Telefondienstleistern gelandet. auch ein Freund, der unbedingt Schauspieler werden wollte und dafür das Talent hatte, strandete hier. so verkehren sich die Ansprüche, wenn das Bequeme und Zweckdienliche gewählt wird. als die Ausnahme von der Regel verzichtete er nach einem gut bestandenen Abitur auf ein Studium und ging eigene brotlose Wege. in den Augen meiner Mitschüler ist er ein Exot geblieben. bei Klassentreffen sorgte er für reichlich Gesprächsstoff und werde unisono bemitleidet. er weiss, warum er trotz minniglicher Einladungen diesen Zusammenkünften fernbleibe.