überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

da er Gedichte schreiben kann, kann er auch programmieren. oder umgekehrt: weil er ein passionierter Programmierer ist, vermag er ebenso eine vertrackte Lyrik zu coden. beides hat er scoj in jungen Jahren beigebracht und laboriert es mit wechselnden Ansprüchen. wenn er poetische oder zu scriptende Zeilen ausgiebig ausbrüte, überfordere er sich regelmässig und manchmal mit Erfolg. das irgendwann Vorzeigenswerte brachte ihm schon lobende Referenzen und einen Job in einer renommierten Software-Schmiede ein. er arbeitete in einem dreistöckigen Loft, der ursprünglich eine Seifenfabrik beherbergte. ohne Referenzen hat man ihn nach einem Vorstellungsgespräch, das er verspätet erreichte, per Handschlag eingestellt und für ein Streaming-Projekt des 3sat-Fernsehens eingeteilt.
wie alle anderen Programmierer genoss er in diesem Haus viele Freiheiten, kam erst um elf und wurde devot von Web-Designern um Rat gefragt. dabei waren ihm die Cracks dort in vielen Belangen überlegen. sie absolvierten gerade ihr Informatik-Studium und hatten alles von der Pieke auf gelernt. er vermochte es nur auszugleichen, indem er ihnen zeigte, wie man virtuos einen Code zum Tanzen bringt. seine Tricks verblüfften, liessen sich indes für die abzuliefernde Arbeit überhaupt nicht verwenden. mit mancher Aufgabe quälte er sich elendig und musste zu Hause bis spät in die Nacht nach Lösungen suchen. mit viel Mühe kam er so weit, dass er sich nicht blamierte. manches Geforderte vereinfachte ich, ohne beim Grafiker oder Projektleiter nachzufragen, oder er wartete ab, bis es wieder verworfen wurde, da es die Planer als zu aufwendig einschätzten. die meiste Zeit überforderte ihn dieser Job, so dass er kündigte, nachdem das 3sat-Streaming erfolgreich auf Sendung ging. obwohl er viel Geld verdiente, wollte er sich nicht in diesem Umkreis profilieren. stattdessen verlegte er sich ganz auf die Kunstproduktion und das Schreiben von lyrischen Zeilen.
bei der Arbeit mag er nicht zielorientiert sein. lieber lä,sst er sich durch das überraschen, was ihm nach einem langen Ausprobieren zufällt. als ein Tagträumer bevorzugt er eine Ungezwungenheit, mit der sich absichtslos ungeahnte Ergebnisse einstellen, und friste, insofern es selten honoriert wird, das Dasein eines armen Schluckers. gut bezahlte Programmierer, die sich jetzt Entwickler nennen, arbeiten für eine digitale Ökonomie und ihre Erfindungen werden banaler, wo sie an intransparenten Algorithmen für den Konsum ertüfteln. damit verausgaben sich sogar ungewöhnliche Talente als schnöde Dienstleister.