petting des ich


(ein investigativer rückblick)

das Denken braucht zuweilen ein stilles Örtchen. mit Hegel hab ich mich eine Zeitlang in einem Kulturbüro, wo wenig zu arbeiten und hauptsächlich anwesentlich zu sein eine Pflicht war, auf die Toilette abgesetzt. hier konnte ich in Ermangelung eines besseren Rückzuges ungestört über seine Wissenschaft der Logik nachdenken. die abgeschiedene Intimität war trotz unbequemer Position passabel, solange kein anderer Gestank verbreitete. bei mir zuhause hat Adornos Ästhetik seinen Stammplatz auf dem Spülkasten, weil ich sie in einer Zeit der Verstopfung zu studieren begann. als dank vegetarischer Nährung die Verdauungsprobleme verschwanden, verblieb der Wälzer hier. mit Sades Philosophie im Boudoir wäre mir dies kaum passiert.
die Latrine ist ein heimlicher genius loci und wurde zu Recht von Duchamp zum Kunstobjekt aufgewertet. will man sich vor Zudringlichkeiten schützen, scheint der Abort ein sicheres Refugium zu sein. dieser Ort kann in Klausur selbstbestimmt behauptet werden und nimmt geduldig das Unverdauliche alles Durchgekauten auf. geschissen und gepisst wird überall, so niemand es dauerhaft zurückhalten oder, falls es aus einer anderen Öffnung kommt, verschweigen kann. was wäre der Mensch, klagte der diarrhöisch geplagte James Joyce, ohne ein erreichbares Klo. es muss auch kein nötigender Durchfall sein, der zum überdurchschnittlichen Defäkieren zwingt. hemmungslose Denker, welche unter Inkontinenz leiden, lassen pauschal alles raus und hoffen, dass Harn-Exegeten, die vielleicht Literaturwissenschaftler oder Kulturredakteure sind, einiges aussichtsreich interpretieren.
etwa sechs Mal am Tag sucht der Mensch eine Toilette auf und meist ist es ein Ritual der Routine. wird keine gefunden, hat er es länger als sonst zu behalten. irgendwann muss es freilich geschwind den Körper verlassen. dem korpulenten Sloterdijk durfte ich mal in der Berliner Akademie der Künste den Vortritt lassen, als er vor einem Vortrag zum stillen Örtchen eilte und der Treppengang dahin ein schmaler war. er bedankte sich mit einem erlösenden Nicken für mein höfliches Zurücktreten. im WC des Berliner Literaturhauses drängte sich Jahre später der inzwischen verstorbene Dichter Oskar Pastior neben mich. zuvor hatte er Ungedrucktes vorgelesen und wollte nach einer ausufernden Diskussion endlich sein Wasser lassen. er freute sich, dass keine weiteren Fragen zu ertragen waren. ich liess ihn nach dem Händewaschen in Ruhe, obwohl ich mit ihm gern in ein Gespräch gekommen wäre. dafür ergab sich an diesem Abend dummerweise keine Gelegenheit mehr. ich wurde von einem entfernten Bekannten intensiv in Beschlag genommen und musste mir seine aktuellen Ausstellungs- sowie Verkaufserfolge in aller Ausführlichkeit anhören. als rücksichtsvoller Mensch konnte ich mich dem nicht entziehen und verpasste somit eine letzte Gelegenheit, einen beispiellosen Spezialisten für Anagrammierungen näher kennenzulernen.