petting des ich


(ein investigativer rückblick)

wer wegen einer Novembergrippe dem Arbeitstrott abhanden kommt, lebt in einer anderen Welt. er liest in einer Arztpraxis die Zeitungen bis zur letzten Seite und überdies ihre werbelastigen Beilagen, welche wohl einzig für Kranke in einem Wartezimmer mit Lektüre gefüllt werden. zuhause kommt aus Gründen der Erschöpfung das sonst geschmähte Fernsehen in frage. zahlreiche Kanäle bemühen sich um die Gunst des Zuschauers, so dass auch der morbide Mensch rund um die Uhr zwischen Schlucken und Schnaufen eine aufmunternde Ablenkung findet. dafür sorgen vor allem prominente Stars, die in Talkshows Intimstes preisgeben, in Pseudo-Doku-Soaps nach Regie-Anweisungen ihren Alltag simulieren. die noch Unbekannten unter ihnen dürfen sich in Casting-Sendungen behaupten, um künftig berühmt zu werden. vorerst werden sie als namenlose Selbstdarsteller zur allgemeinen Belustigung vorgeführt. es soll unterhalten und wird wie vieles andere unaufhörlich akzentuiert sowie übertrieben.
in seiner gegenwärtigen Buntheit ist das hochaufgelöste Fernsehen eine permanente Permutation von über 900.000 Pixel, welche sich in der Sekunde 25mal variieren. wer es sich leisten kann, bekommt es sogar dreidimensional auf den Schirm. umrahmt von einheimelnder Werbung wird dem Auge ein ausuferndes Gefüge von dramatischen Nachrichten, aktionsreichen Komödien oder Thrillern präsentiert. man muss das Flimmern nur chiffrieren und zuordnen. das fällt in der Regel aber nicht schwer, da mit Redundanzen gearbeitet und Kompliziertes zugunsten einfacher wie bestechender Begründungen gemieden wird. das Gesendete ist bei aller Raffinesse und betörender Buntheit fortwährend die eindeutigste Auslegung, weil auf allgemeinste Zustimmung sowie Quoten aus. folglich muss es hinter vielen Fenstern unentwegt flackern und in der späten Nacht wie ein bläuliches Kaminfeuer schimmern, das freilich niemand richtig wärmt und erleuchtet auch nicht.
doch was hat das Ausgestrahlte tatsächlich zu bedeuten? und warum wird es stundenlang von vielen sich Langweilenden so intensiv beschaut? als anwesende Abwesenheit verweigert der Neumond heute eine Antwort und das Firmamentum mit seinen langsam kreisenden Sternen bleibt wegen dem Lichtsmog zu unklar. zigtausende Jahre war es dem Menschen das erste in die Ferne sehen, eine Television geheimer Offenbarungen. die interstellare Konstellation verkörperte poetische Informationen, die als gleichbleibendes Programm genügend Platz liessen für unzählige Interpretationen. die leuchtenden Stars garantierten in Tier- und Heldenzeichen eine des Lebens notwendige Orientierung. sie nahmen ihre Aufgabe ernst, denn sie mussten um keine Zuschauerrekorde buhlen. aus unendlichen Weiten traf ihr Strahlen mit dreihunderttausend Kilometern in der Sekunde jeden, ob er es wollte oder nicht. so schnell und so gewiss.