petting des ich


(ein investigativer rückblick)

manche Menschen meinen, mich zu durchschauen, obwohl ich mir viel Mühe gebe, rätselhaft zu sein. dafür bin ich sogar bereit, mich selbst zu verblüffen. wenn es bei drögen Gesprächspartnern nicht gelingt, so wenigstens bei mir. ganz eigentlich ist ein jeder ein Alleinstellungsmerkmal und sollte mehr über sich als ein anderer wissen. es ist ein Expertenwissen, weil einzig Experten über ihr Spezialgebiet kompetent informiert sind. je begrenzter es ausfällt, desto spezieller sind die Kenntnisse und im Extremfall wächst über fast nichts ein Wissen ins Unendliche. der selbstbewusste Mensch beansprucht dafür keine überragende Intelligenz, er muss schlicht und ergreifend ein positiv ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben. allen ist es schliesslich gegeben, zumindest sich zu erkennen, ruft uns seit über 2400 Jahren Heraklit zu.
die Hardliner unter den Erkenntnistheoretikern bestehen indes darauf, dass wir von unserem limbischen System gesteuert werden und respektive unser Wollen wie Wüschen dem unterliegt. setzt sich ein Bewusstsein darüber hinweg, leidet es offenbar unter einer masslosen Einbildung. eine solche Interpretation könnte viel entschuldigen. doch sollen Menschen sich autonom bestimmen und die Gerichte wollen, dass sie verantwortlich bleiben. ansonsten wäre kein Mörder oder Steuerhinterzieher für seine Taten haftbar. Erklärungen zum Funktionieren der komplexen Maschine Gehirn sind kompliziert und ungemein frei interpretierbar. mein Arbeitgeber, die bildende Kunst, weiss ohne bestechende Theorie: das Urteilsvermögen entsteht aus all den Erfahrungen, die ein jeder im Laufe seines Lebens sammelt und in einem langjährigen Bildungsprozess zu schematischen Anschauungen heranbildet. das Selbstbewusstsein drückt sich hingegen, wie der Kampf bei manchen Kollegen um Ausstellungsplätze zeigt, durch selbstsüchtige Interessen aus, die mit Macht oder List gegen andere durchgesetzt werden. hierbei muss niemand allzu beschlagen sein, ausser er ist es als talentierter Künstler tatsächlich und wird ignoriert, weil ihn niemand bemerkt und ausreichend würdigt.
als kreatives Genie, als authentische Befindlichkeit oder einfach als Urheberrecht geistert das originäre Ich durch die Geschichte der menschlichen Kultur. dagegen kann ein ontologischer Reduktionismus, der mentale Prozesse primär als Reiz-Verarbeitung erklärt, nichts ausrichten. die Exklusivität von Kunstwerken wird mit dem kreativen Ich indiziert und als wesenseigen beschworen. obgleich selten eine autonome Unität und damit ein unverwechselbarer Stil in einem Oeuvre vorzuweisen sind, wird die Idee vom Einzigartigen als Status oder status nascendi behauptet, und ist jemand darin geschickt, sogleich glorifiziert. die Gründe dafür sind profan. denn es geht meist darum, Bildern oder Plastiken ein entsprechend öffentliches Gewicht und der heiligen Allianz von Art-Dealern, Sammlern sowie Kuratoren einen Mehrwert zu garantieren. ohne die Geste einer herausragenden Subjektivität gelingt solches selten.