petting des ich


(ein investigativer rückblick)

man muss bisweilen zweimal fallen, damit es nicht mehr wehtut. beim Skaten auf einem asphaltierten Nordsee-Deich bin ich vor vielen Jahren bei einer abrupten Drehung gestürzt und habe mir einen Nerv am Gesäss eingeklemmt. lange liegen und sitzen konnte ich damit nicht, so dass ich selten zur Ruhe kam. es wurde professionell abgetastet und geröntgt, aber kein Facharzt schaffte Abhilfe. einzig Schmerzmittel haben sie mir verschrieben oder Spritzen in ihrer Praxis angedroht, weil sie mich für einen Simulanten hielten. erst ein zweiter Sturz während einer turbulenten Skater-Demo auf der Berliner Friedrichstrasse, erneut auf den Allerwertesten, machte ein halbes Jahr später dem Leiden ein Ende. hätte ich, wie mir meine Mutter riet, das Skaten aufgegeben, müsste ich wahrscheinlich immer noch leidlich gekrümmt meiner Hauptbeschäftigung, dem liegendem Grübeln nachgehen.
es gibt Patzer, die wiederholt werden müssen, auf dass sie sich negieren oder richtig abschrecken, damit sie Menschen wie ich nicht ein drittes Mal riskieren. meine Lieblingsfehler bin ich hingegen bis heute nicht losgeworden. sie sind Bestandteil meiner Gewohnheiten, gegen die beim Kunstwerken keine Förderrichtlinien und beim Schreiben kein Thesaurus ankommt. und das ist vielleicht gut so. ich mache aus meinen Fehlern einen eigenen Stil, der manchmal zu neuen Deutungen führt und hoffe, dass die Konsequenz, sich treu zu bleiben, wie beim Roulette irgendwann belohnt wird. hier verspricht die Martingale-Strategie ausdauernden Spielern höchste finanzielle Erfolge. wer fortlaufend auf dieselbe Farbe setzt und den Einsatz stets verdoppelt, gewinnt, falls die Kugel bei dieser Farbe landet, sicher seinen Einsatz zurück oder insgesamt viel grössere Summen. leider haben Spielbanken ein Limit festgelegt, das ein Verdoppeln nur bis zu einer bestimmten Höhe erlaubt. einzig beim illegalen Pokern darf unbegrenzt gezockt werden, obzwar es hier gescheiter ist, tunlichst wenig zu riskieren, insofern man um Geld spielt. spekulierende Börsianer wissen das, können und wollen jedoch ein sicheres Anlegen nicht hinnehmen, obwohl sie seit der globalen Finanzkrise dazu verpflichtet sind und es als Banker zu akzeptieren haben, dass es ihre Bonuszahlungen schmälert.
ein jeder muss wählen zwischen der Langeweile und dem Leiden, das Vage oder die Sicherheit in seinem Leben aushalten, behauptete Madame de Staël einst in ihrem Salon. man sollte besser eine solche Wahl aufschieben, um mit seinen Erwartungen unverbindlich alles einfordern zu können. doch so es inzwischen viele derart ambivalent halten, hat die Politik den undankbaren Wechselwähler und die Kultur den von einem Event zum nächsten eilenden Flaneur auszuhalten. eine lebenslange Unzufriedenheit ist das Mindeste, was sie anvisieren, und so lange sie kein richtiges Leben im falschen Kino finden, wird von ruhelos Suchenden auch keine Anerkennung zu erwarten sein. dafür sollte man sie, während allgemein Ansprüche sinken und Enttäuschungen zunehmen, nicht verachten.