petting des ich
ich besitze kein eigenes Haus, sondern stets die Stadt, in
der ich lebe. gleichfalls pflege ich keinen Garten oder
anderes Parzelliertes, ich geniesse lieber die Natur in einem Park oder als Landschaft
pur. hier muss ich nicht gärtnern, ich kann das bewundern, was ohne
mich gehegt wird oder von allein wuchert. für gewöhnlich ist es die urbane
Vorstadt mit ihrem Grün, die ich an Wochenenden goutiere. darüber hinaus wird mindestens einmal
im Jahr der Botanische Garten aufgesucht. in ihm kann man als Besucher für wenig
Eintrittsgeld auf eine Weltreise gehen. es wachsen nahe beieinander in angelegten
Biotopen Pflanzen aus fernen Kontinenten. Koniferen und Wiesen sind von den Alpen bis zum
Kaukasus in einer Stunde zu durchstreifen, so dass noch Zeit bleibt,
fernöstliche Gewächse im Treibhaus zu inspizieren. im späten Sommer
betört wie ein Caféhaus, etwas abseits wachsend, ein Kuchenbaum mit seinem duftenden
Laub die Sinne. er ist tatsächlich in Asien beheimatet.
doch es muss nicht unentwegt exotisch anmuten. an heissen Sonntagen durchwandere
ich mit meinem jüngsten Sohn gern den Grunewald, wo wir schnell vergessen,
dass wir uns in der Nähe von dicht befahrenen Autobahnen befinden.
unter Eichen, Kiefern und Linden ist es angenehm schattig. die Wege
sind zwischen Seen und Mooren hinreichend feucht für Nacktschnecken, welche sich
saumselig Futterplätze suchen. während alles andere an ihnen vorbeihastet,
bewahren sie ihre Behäbigkeit. der Heimatdichter Hermann Löns hat sie in einer
seiner Geschichten als eklige Tiere verdammt. dem sollte man keinesfalls
zustimmen, da sie einen schönen Kopf haben und wie alle Schnecken
stundenlang einen Orgasmus zu halten vermögen. falls sie etwas verstört, ziehen
sie sich einfach zusammen und warten ab. dazu sind wir ausschwärmenden
Stadtmenschen selten in der Lage. wir geniessen die Einkehr nur in aller Ruhe während
einer Vesperpause. danach muss es gleich weitergehen und wegen der
hungrigen Mücken überhasteter, als die müden Beine es wollen.
am Ende entspannen wir uns von solchen Touren gern auf einer Wiese, für gewöhnlich
vor dem Schlachtensee, der in seiner slawischen Zeit wohlklingender Slatsee
(Goldgelbener) hiess. dort lassen sich inmitten von schwitzenden Sonnenanbetern
Grashüpfer jagen. ich fange sie mit Ausdauer dem alleinigen Vergnügen zuliebe,
und um sie wieder springen zu lassen. so wie ich mir manchen paradoxen Gedanken
ausdenke, bloss um ihn alsbald zu vergessen. zurückbleibt ein Gefühl der
Entbundenheit und realiter bisweilen ein Grashalm in der Hand. auf ihm sitzt heute, was
für ein Zufallsfund, ein Marienkäfer mit lediglich fünf schwarzen Punkten. entgegen der Schwerkraft versucht er, ganz ausdauernd
immer auf die höher liegende Seite zu krabbeln. drehe ich den Halm um 180 Grad,
ändert er konsequent seine Richtung. fünf Minuten bewundere ich sein
Beharrungsvermögen, dann gibt der Kleine abrupt auf und rührt sich nicht mehr.
ein Lebewesen, das über kein komplexes Nervensystem verfügt, lässt sich nicht
domestizieren.