petting des ich


(ein investigativer rückblick)

zur Untätigkeit verdammt schläft der Mensch länger. erst neun Stunden, dann zehn und bald zwischendurch noch ein bisschen. ohne Brotarbeit und antreibende Selbstverpflichtungen erging es mir so. ist einzig die Alltagsroutine zu meistern, wird es unbefriedigend, wie Sisyphus einen Stein stets den gleichen Hang hinaufzuschieben. das Gekonnte fortwährend zu können, führt zu einer ermüdenden Verdriesslichkeit. es muss dann was Neues auf die Beine gestellt werden, der Kreislauf darf nicht lange auf kleiner Flamme kochen. er braucht, für sein Streben ab und zu einen Mont Everest oder wenigstens einen merklichen Höhenunterschied.
eine Zeit lang war das Klettern für mich eine Herausforderung und vielleicht die grösste, weil sie mit Höhenangst bewältigt wurde. als Abiturient habe ich es im sächsischen Elbsandsteingebirge mit Freunden gewagt. sie hatten die Ausrüstung und Erfahrung, so dass ich mit ihnen als Nachsteiger einige Gipfel erklomm. obwohl ungeübt, gelang mir der Aufstieg sogar bei leichten Überhängen und Kaminen. hatte ich mehr als zehn Meter unter mir zu ertragen, wurde es wie an der Wehlnadel einmal äusserst unangenehm. das Klettern begann hier harmlos von der Bergseite und das Gipfelbuch schien in greifbarer Nähe. nach einer halben Umrundung befand ich mich aber an der Talseite über den Kronen der Bäume und es war unmöglich umzukehren. unüberhörbar wurde unter mir auf der Felsenbühne Rathen mit viel Donner der Freischütz gespielt. mit viel Zittern sowie Lamentieren gelang es mir irgendwann, meine Höhenangst in die Schranken zu weisen und die schwierige Nadel zu bezwingen. fast alle in unserer Gruppe hatten sie gemieden, sie waren nicht so grössenwahnsinnig wie ich gewesen. doch im nachhinein bereue ich meine Hybris nicht. sie war für mich eine wesentliche Erfahrung.
als reife Persönlichkeit meide ich solche Höhenflüge. ich bevorzuge die Mühen der Ebene, den Mut zu abenteuerlichen Wagnissen hat man wohl nur, wenn man jung und naiv ist. wer im reiferen Alter andere mit Ansprüchen überraschen will, muss aufpassen, dass er sich selber nicht überfordert. es kann just der Fall sein, mithin immer weniger der Fall ist und untrainiert etwas zu beweisen ist. kommunale Politiker, die keinen bemerkenswerten Erwartungen unterliegen, sind darin Meister. sie befördern, damit ihr Einfluss wächst, anstatt nachhaltig Kleines unsinnige Grossprojekte. wo wer dauernd auf Sitzungen sitzt und die gleichen Statements herbetet, der will beweisen, dass er mit massgeblichen Baustellen mehr kann. Stuttgart bekommt wohl deswegen nun einen zehn Milliarden teuren unterirdischen Bahnhof, Karlsruhe hat bereits einen Flughafen für 271 Millionen Euro, den keiner benötigt, und in Berlin ist ein fast fünf Milliarden teurer Airport wegen technischer Fehlplanungen seit Jahren nicht benutzbar und wird trotzdem weitergebaut. solche Flops können, sobald die Presse sie zu einem Dauerthema macht, Karrieren ins Wanken bringen und sichere Wahlergebnisse von Parteien abstürzen lassen.