petting des ich


(ein investigativer rückblick)

man singt kaum noch zusammen Lieder, man hört ständig welche. ohne musikalische Dauerberieslung fühlt sich selten jemand wohl. entweder sollen bedrückende Momente der Stille vermieden oder Störgeräusche übertönt werden. selbst in der Bibliothek verzichten Leser nicht darauf. Kopfhörer schirmen sie besser ab als Ohrstöpsel, oder belassen sie in einer Umgebung, in der es permanent dudelt. bei mir zuhause ist es ein Klassiksender, der bis weit nach Mitternacht als vertrauter Background wohltemperiert aufspielt. für die meisten muss es wie bei Galeeren-Sklaven ein schlagender Rhythmus sein, der antreibt.
weil der Mensch ein höriges Wesen ist, lässt er sich mit einschlägigen Sounds gern beeinflussen. beschleunigte Beats bringen ihn zum schnelleren Arbeiten, und beim Shoppen heiter beschwingte Melodien in eine bessere Kauflaune. am Feierabend versprüht ein softiger Pop eine anhaltende Entspanntheit oder gleich die Atmosphäre zum Einschlafen. Fachleute haben es mit repräsentativen Umfragen ermittelt und bieten demgemäss das musikalische Repertoire für Job- und Konsumplätze an. bei Radioprogramme mit viel Werbung ist von morgens bis abends der beste Mix aller Zeiten zu hören, das heisst solches, was niemanden verstört und was jeder aus den vertrauten Chart-Listen kennt.
in Kneipen sowie Clubs, wo nicht geredet wird, so man ausnahmslos trinkend rumhängt, muss es meistens laut sein. der Pulsschlag passt sich dem Rhythmus der Musik an, so dass jeder sinnig vereint scheint. für Kaffeehausgäste, welche lange Zeit die Gazetten lasen und miteinander diskutierten, wird der Pegel ebenso lauter. die Zeitungen werden inzwischen eingespart, seitdem sich viele online informieren oder gar nicht mehr an Nachrichten interessiert sind. wo Menschen sich nichts zu sagen haben, verharren sie dann lieber anonym in einem Getöse.
einzig in der Nacht ist noch Ruhe vonnöten und wird unverzüglich eingeklagt. wer sich auf der Strasse als Minnesänger oder nach einer Kneiptour im Chor mit anderen ausprobiert, bekommt es mit der Polizei zu tun. aber eine entspannte Stille ist gar nicht mehr zu vernehmen. selbst wenn alle schlafen, um sich für den Arbeitstrott zu regenerieren, ist irgendwo ein Röcheln zu hören, ein eindringliches Keuchen, das allmählich ein Löcheln generiert. oder es pfeift verstörend klagend an Wochenenden auf dem urbanen Land, wo es tagsüber mit Rasenmähern und Kreissägen lauter als in der Stadt zugeht. ähnlich den Obertönen der Wale in weiten Ozeanen infiltrieren Schallwellen die nächtliche Schwärze. tatsächlich ist es die verwehte Musik aus Tanzschuppen oder das einsame Jaulen eines Hundes, der Cioran gelesen hat. richtig menschlich wird allenfalls unter der Dusche oder auf Kirchenbänken gesungen. und da ohne Übung, meist ein wenig verstimmt.