petting des ich


(ein investigativer rückblick)

Geburtstage werden in meinem älter werdenden Freundeskreis nach wie vor gefeiert, aber erfreulicherweise bekomme ich seltener Einladungen. die besten Freunde, welche man gern um sich hat, sind anregende Bücher, denn eine anspruchsvolle Lektüre garantiert immer intensive Begegnungen und eine intime Zurückgezogenheit. nur man kann nicht ständig lesen, muss bisweilen Diverses erleben und landet dann doch in einer geselligen Runde. die Neugierde nimmt nicht ab, die Zipperlein sind bislang ausgeblieben und die Orientierung auf das Umfeld ist besser als je zuvor. einzig die fürderhin zu besuchenden Partys werden flauer und häufig zu einer Notdurft, welche ich deshalb nicht gern small-talkend als Mitdurft goutiere.
der Eigendünkel will besonders im betagten Alter wieder zeigen, wie beliebt und geachtet er ist. es gelingt ihm vorzüglich mit einem gut besuchten Fest, wo Bonmots, Umarmungen und Küsschen verteilt werden. alle sind nett zu dem Jubilar, obwohl es langweilig und am späten Abend ermüdend ist, wenn viele feststellen, dass früher das Früher besser war oder unverblümt über ihre Krankheiten reden. Chefs laden standesgemäss zu einem Empfang ein, auf dem ihre Untergebenen sie preisen dürfen. Weiheredner stimmen es stimmungsvoll ein, bezahlte Musiker tünchen den Background in Dur und Alkoholisches bringt zwangsläufig die Stimmung. das Christentum lehnte das Feiern des Geburtstages lange als heidnischen Brauch ab, und bis ins 19. Jahrhundert war es einzig in höheren Kreisen üblich und aus Kostengründen überhaupt realisierbar, sich an diesem Tag gesellig zu zelebrieren.
selten habe ich meinen Ehrentag mit Freunden und Bekannten zuhause verbracht, viel lieber mit meiner Familie im Urlaub verfaulenzt. der spätsommerliche Septemberanfang ist auch eine zu ideale Reisezeit. seit einigen Jahren werden wegen der Schule meines Sohnes Wochenend-Ausflüge organisiert oder wir gehen ganz profan gut essen. als Single genoss ich zeitweilig allein für mich den Tag der Altersmarkierung. somit musste ich mich nicht über unsinnige Geschenke oder Glückwünsche freuen und für erstere nicht höflich danken.
auf zwanglose Geselligkeiten will ich nicht völlig verzichten. mit einer Freundin habe ich mich deshalb mal einen Sommer lang ausgiebig für manche Enthaltsamkeit entschädigt, als wir im Prenzlauer Berg als Cracks wildfremde Partys von zuzüglichen Neu-Berlinern aufsuchten. es fiel fast nie auf, da ein Gastgeber nicht nur seine Freunde eingeladen hatte, sondern grosszügig ebenso deren Freunde sowie Freundesfreunde. per Aushang wurde sogar die umliegende Nachbarschaft zum Kommen aufgefordert, damit sich niemand wegen der lauten Musik beschwerte. hatten wir wegen diesem Lärmpegel eine Party ausgekundschaftet, klingelten wir und konnten uns an einem Buffet ausgiebig bedienen, um Unbekannten mit Wein oder Bier zuzuprosten. wurde es zu eintönig, verschwanden wir ohne Abschiedszeremonie auf polnische Art. wir fielen als Fremde nicht auf, und falls doch, gaben wir an, die Adresse verwechselt zu haben und blieben trotzdem. dies nahm dazumal in Berlin keiner krumm.