petting des ich


(ein investigativer rückblick)

Geburtstage werden in seinem älter werdenden Freundeskreis nach wie vor gefeiert, und erfreulicherweise bekommt er seltener Einladungen. die besten Freunde, welche man gern um sich hat, sind anregende Bücher. denn eine anspruchsvolle Lektüre garantiert immer intensive Begegnungen in einer intimen Zurückgezogenheit. nur man kann nicht ständig lesen, muss bisweilen Diverses erleben und landet dann doch in einer geselligen Runde. die Neugierde nimmt nicht ab, die Zipperlein sind bislang ausgeblieben und die Orientierung auf das Umfeld ist besser als je zuvor. eher die fürderhin zu besuchenden Partys werden flauer und häufig zu einer Notdurft, welche er nicht gern small-talkend als Mitdurft goutiert.
der Eigendünkel will im betagten Alter wieder zeigen, wie beliebt und geachtet er ist. es gelingt vorzüglich mit einem gut besuchten Fest, wo Bonmots, Umarmungen und Küsschen verteilt werden. alle sind nett zu dem Jubilar, obwohl es langweilig und am späten Abend ermüdend ist, wenn viele feststellen, dass früher das Früher besser war oder unverblümt über ihre Krankheiten reden. Chefs laden standesgemäss zu einem Empfang ein, auf dem ihre Untergebenen sie preisen dürfen. Weiheredner stimmen es stimmungsvoll ein, bezahlte Musiker tünchen den Background in Dur und Alkoholisches bringt zwangsläufig die Stimmung. das Christentum lehnte das Feiern des Geburtstages lange als heidnischen Brauch ab, und bis ins 19. Jahrhundert war es einzig in höheren Kreisen üblich und aus Kostengründen überhaupt realisierbar, sich an diesem Tag gesellig zu zelebrieren.
selten hat er seinen Ehrentag mit Freunden und Bekannten feiernd verbracht, lieber mit seiner Familie im Urlaub verfaulenzt. der spätsommerliche Septemberanfang ist eine zu ideale Reisezeit. seit einigen Jahren werden wegen der Schule seines Sohnes Wochenend-Ausflüge organisiert oder man geht gut essen. als Single genoss er zeitweilig allein für sich den Tag der Altersmarkierung. somit musste er sich nicht über unsinnige Geschenke oder Glückwünsche freuen und für erstere nicht höflich danken.
auf zwanglose Geselligkeiten will er nicht gänzlich verzichten. mit einer Freundin hat er sich mal einen Sommer lang ausgiebig für manche Enthaltsamkeit entschädigt, als man im Prenzlauer Berg als Cracks wildfremde Partys von zuzüglichen Neu-Berlinern aufsuchte. es fiel fast nie auf, da ein Gastgeber nicht nur seine Freunde eingeladen hatte, sondern grosszügig ebenso deren Freunde sowie Freundesfreunde. per Aushang wurde sogar die umliegende Nachbarschaft zum Kommen aufgefordert, damit sich niemand wegen der lauten Musik beschwerte. hatte er wegen diesem Lärmpegel eine Party ausgekundschaftet, klingelte man und konnten sich an einem Buffet ausgiebig bedienen, um Unbekannten mit Wein oder Bier zuzuprosten. wurde es zu eintönig, verschwand man ohne Abschiedszeremonie auf polnische Art. man fiel als Fremder nicht auf, und falls doch, wurde insinuiert, die Adresse verwechselt zu haben und blieb trotzdem. dies nahm dazumal in Berlin kaum jemand krumm.