petting des ich


(ein investigativer rückblick)

soll man im Leben nach Selbsterkenntnis oder mehr nach Genuss streben? ersteres ist meist ein verkappter Narzissmus und der Genuss ehrlicher, so lange er als Hedonismus keine Ausreden beansprucht. ein ehrbares Lebensziel müsste etwas ganz anderes sein. bloss was? ein Altruismus vielleicht, mit dem man selbstlos ist und Anderen anstatt seinem Ego Nutzen bringt. der Religionskritiker Auguste Comte hat jenen Begriff erfunden, um dem Egoismus ein Pendant zu erschaffen. seitdem ist es äusserst umstritten, ob ein uneigennütziges Handeln überhaupt möglich sei. denn egal wie man es begründet und interpretierend wendet, die Selbstlosigkeit wird kurz- oder langfristig mit einem Gewinn belohnt. und dies sogar, wenn man bettelnden Bedürftigen, auf die jeder in Städten häufiger trifft, sein Kleingeld reicht. jene Gabe schafft ein gutes Ohmen für den Tag und fast immer bekommt sie auch ein nettes Dankeschön.
in Wirklichkeit ist es ein unfairer Handel, da selbst das erfolgreiche Betteln eine auslaugend unterbezahlte Dienstleistung bleibt. soll sie einen anspruchslosen Lebensunterhalt halbwegs absichern, ist ein angemessenes Geschäftsmodell vonnöten, das heisst eine gute Geschichte, die richtige Kleidung und ein traurig dreinblickender Hund. für wenige Münzen wird ein Wohlfühlgefühl verkauft. damit es sich einstellt, muss die Erscheinung präpariert und die Körperhaltung überzeugend verstellt werden. in Indien übernimmt solches nach wie vor der Bettlermacher. wer hierzulande anstatt leidig zu schnorren, selbstbewusst etwas als Tauschwert vorlegt, wird gern übersehen. dies erleben die Scheibenputzer an den städtischen Kreuzungen oder Menschen, die geistige Werte anbieten. so hat er einmal beobachtet, dass ein Clochard, der in der U-Bahn philosophische Sentenzen für einen Obolus anbot, nicht nur leer ausging, sondern beschimpft wurde.
wer bettelt, ist kein Dieb, auch wenn er es gewieft anstellt. von Vertretern, die unverfroren ihre potentielle Kundschaft anrufen und zu unsinnigen Versicherungsabschlüssen überreden, kann man das nicht behaupten. sie kassieren hohe Prämien und lügen das Blaue vom Himmel herunter. wer ihnen vertraut, ärgert sich alsbald sehr und muss, um sinnlose Ausgaben zu stoppen, einen Anwalt konsultieren oder ein bisschen Jura studiert haben. man könnte ebenso gut den Hütchenspielern, welche weiterhin in touristischen Stadtzonen lauern, 50 Euro-Scheine zuwerfen. oder den professionellen Werbern zuhören, die an Strassenecken um eine spendable Mitgliedschaft für einen Tierschutzverein bitten. in der Regel bewerkstelligen sie es so, als wollten sie Schulden eintreiben. wer bei ihnen keine Beitrittserklärung unterschreibt, muss sich ein schlechtes Gewissen einreden lassen. für Bedürftige, die einzig für sich eine kurzfristige Hilfe ohne Abo-Falle erbitten, hält die Alltagssprache viele Beleidigungen bereit: Penner, Schnorrer, Junkie oder Gesindel. sie sollen das Strassenbild nicht verschandeln und es werden vielerorts Anzeigen sowie Bussgelder gegen sie verhängt. Rilke hat angeblich mal ganz romantisch einer bettelnden Frau in Paris eine Rose in die Hand gedrückt, wofür sie ihm leider keine Ohrfeige verpasste.