petting des ich
jeder dritte Mensch war im authentischen Milieu ein Spitzel. man konnten es unter sich eins-zwei-drei
abzählen und dann tippte der Zeigefinger auf irgendwen gerade Dastehenden. jener lachte
vielleicht oder nicht, falls er sich getroffen fühlte. die Stasi war allgegenwärtig und
nannte sich offiziell Staatssicherheitsdienst der DDR. zu fürchten war sie, so jeder
Fürchterliches gehört hatte. niemand konnte sich ihren inoffiziellen Mitarbeitern
entziehen. heute gibt es den Geheimdienst NSA, der unvergleichbar per Software E-Mails
und online-Bewegungen international mitliest. in einer liberalen Gesellschaft
muss es keiner allzu ernst nehmen, da er selten mit den Konsequenzen
einer globalen Schnüffelei konfrontiert wird. in der DDR hatt man sich entschieden,
keine Geheimnisse zu haben, insofern es sowieso nichts zu
verbergen gab. wer kein Spitzel war, brauchte im alltälichen Smalltalken nichts
vorzutäuschen. die kritische Meinung wurde in der Musik oder
in der Kunst offensiv mitgeteilt. man lebte in einer poetischen Zeit,
wo in Gedichten zwischen den Zeilen politische Gesinnungen rebellierten und sich schwer zensieren
liessen. jene Offenheit entwickelte eine Subversion, die nicht
offensichtlich subversiv schien, erst nachhaltig einen autoritären Staat zum
Stolpern brachte.
persönlich wurde er das erste Mal mit zwei Stasi-Mitarbeitern konfrontiert,
nachdem er einen Aufruf zum kämpferischen Pazifismus von Tucholsky an ein
schwarzes Brett seiner Schule gepinnt hatte. die Lehrer haben es als
Provokation gegen die sozialistische Gesellschaft eingestuft und ihn gemeldet.
erfreulicherweise teilten die zwei ihn im Direktorzimmer verhörende Stasi-Leute
jenen Vorwurf nicht. Tucholsky zählte zum DDR-Kulturerbe und ein Pubertierender war mit einer
Weltverbesserungsnaivität für sie kein ernstzunehmender Gegner. nach einem
dreistündigen Verhör wollten sie ihn nicht einmal als Spitzel anwerben. er kam
mit einem Schrecken davon und durfte fortan ungestörter für das Abitur lernen.
die ihn denunzierenden Lehrer mussten es ertragen, dass die Vernehmung folgenlos
blieb. sie wollten ihn von einer weiteren Bildung suspendieren und hatten sein
Bleiben zu akzeptieren.
auch in reifen Jahren ist es ihm wiederholt so ergangen. seine naive Offenheit
rückte ihn in die Nähe unangenehmer Ränder und bewahrte vor
den Leimruten einer opportunen Karriere. er blieb für Kollektives ein
schwer einzuordnender Mensch und wurde dafür entweder geschasst oder in Ruhe
gelassen. dies vor allem bei der Arbeit als Journalist, wo er im Übermut
glaubte aufschreiben zu können, was er zu denken meinte. bei den Kulturentscheidern
sorgte er später als Künstler mit einem unrespektierlichen Verhalten für
ungewollte Irritationen. er konnte sich nicht an kuratorische Vorgaben anpassen, so dass er für lukrative
Förderungen nicht in Frage kam. wo andere diplomatisch ihre Loyalität
bekunden, artikuliere er als Eigenbrötler einen Willen zum Experimentieren.