petting des ich


(ein investigativer rückblick)

mein Jahrgang ist ein geburtenstarker und unter schwierigen Bedingungen herangereift. in den Jahren des ostdeutschen Babybooms sind wir in den 1960er Jahren Geborenen selten geplante Liebeskinder gewesen. weil es für unsere Mütter keine Pille gab, kam man unvorhergesehen auf die Welt und ist frühzeitig in einem überbelegten Betriebskindergarten gelandet. selbst wenn es unmöglich schien, einen freien Platz zu ergattern, wurde man hier, ich erinnere mich ungern daran, früh sozial konditioniert. auf raren Spielflächen waren die Klettergerüste, Rutschen und Schaukeln schnell vergeben. die Schule lehrte in überfüllten Klassenräumen nicht nur das Alphabet, sondern sogleich Disziplin und am Nachmittag im Hort Pionierlieder für einen bevorstehenden Fahnenappell. fast überall bildeten sich lange Schlangen, vor den Eisdielen, Badeanstalten und an der Kinokasse auch bei wenig verlockenden Filmen.
meine Generation ist mit einer Urerfahrung der Masse gross geworden. die heranreifende Individualität galt es zu nivellieren, einem Kollektiven anzupassen. wer sich davon als Teenager endlich abgrenzen wollte, musste akzeptieren, dass es etliche waren, die gleiches anstrebten. man lebte in einem unfreiwilligen Man und sehnte sich nach einer Eigentlichkeit, obzwar man nicht wusste, was diese eigentlich sein könnte. derart desillusioniert wurde nicht Heidegger, sondern Hermann Hesse oder Sartre gelesen, um wieder unter vielen zu sein, die es ebenso favorisierten. es war nicht verwunderlich, dass wir geburtenstark Geborenen insgeheim berühmt werden wollten, ob als Schriftsteller, Künstler, Mannequin oder irgendetwas anderes Herausragendes. sogar Leistungssportler strebten einige an, in der Hoffnung es zu einer internationalen Meisterschaft zu schaffen. die meisten erträumten das Leben eines bekannten Rockstars zu führen, um nicht inmitten, sondern vor einer Menge zu stehen. es reichte meist nur für ein Dilettieren in einer kleinen Band und gemeinhin wurde dann Punkrock gespielt, der zum Lebensgefühl passte. ich habe es zeitweilig mit einer geliehenen Fender-Gitarre ausprobiert, bei kurzen Auftritten in einer Band, deren Namen ich vergessen habe.
anstatt die enttäuschte Individualität revoltierend auszuspielen, wurde der angesammelte Frust lyrisch verinnerlicht. die Sehnsucht nach der Ferne, nach einem verlockend Unbekannten war immanent ein akutes Fernweh. jede Woche lockte Freitagabend die Fernsehserie Star Trek und viele wünschten sich, dann detto sagen zu können: Beam me up, Scotty. mit den unendlichen Weiten im Raumschiff Enterprise echappierte sich die Phantasie. mein Jahrgang war auf der Flucht, in erster Linie vor sich selbst. die eigenen Erwartungen wollten nicht von der nüchternen Alltagsrealität enttäuscht werden und deprimiert sein schon gar nicht, ja nicht einmal verbittert, obschon dafür Gründe genug vorlagen. eigensinnige Ziele hatte jeder genauso viele wie heimliche Träume und es war in Ermangelung eines Warp-Antriebes kaum etwas daran zu ändern.