petting des ich


(ein investigativer rückblick)

mein Horoskop lese ich überhaupt nicht oder ganz fix, selbst wo es mir wegen dem Sternbild Jungfrau Erfolg bei meinen Vorhaben verspricht. doch dafür werde ich unablässig dazu aufgefordert, mich auf Veränderungen einzulassen und penible Ansprüche, die ich als impulsiver Mensch gar nicht habe, aufzugeben. als ich sechs Jahre zählte, hat mir eine bejahrte Handleserin in Rumänien ein ziemlich langes Leben prophezeit. damals konnte ich mir die Konsequenzen noch nicht ausmalen. heute würde ich es als Nötigung oder einen infamen Schwindel interpretieren. ich halte schliesslich seit langem mit Nikotin sowie Alkohol dagegen und giftige Abgase aus täglich zu beschnuppernden Auspuffen tun ihr übriges. die Aussicht im hohen Alter, in einem drögen Pflegeheim weiterhin mich sowie mein Umfeld hilflos ertragen zu müssen, deprimiert mich jetzt schon.
als Kind konnte ich es nicht erwarten, älter zu werden. ich wollte schneller wachsen, selbstbestimmter leben und vor allem ganz lange aufbleiben, um die spannenden Filme zu sehen. nach der Jugendweihe kamen die ersten Zweifel auf. die Souveränität der Erwachsenen wurde als Einsicht in unangenehme Notwendigkeiten wie die bevorstehende Einberufung in den Armeedienst und das darauf folgend dröge Berufsleben durchschaut. dafür lohnte es sich keinesfalls, die Adoleszenz und das mit ihr angenehm zu Verbindende aufzugeben. vor allem durfte man nicht zu früh Vater werden und wie die Eltern ein prosaisches Familienleben eingehen. solches wurde zwar vom Staat mit einem zinslosen Ehekredit grosszügig belohnt, hätte indes die eigenen Lebenspläne völlig über den Haufen geworfen. in einer Zeit, als die Weiblichkeit mit der Anti-Baby-Pille bestimmte, ob die körperliche Liebe Früchte trug, war die zukünftige Ausrichtung eine unvorhersehbare. in meinem Bekanntenkreis mussten immerhin einige Freunde schwer am Wochenende schwarzarbeiten, um die Alimente für ihre unehelichen Kinder zahlen zu können.
auch wenn es bei niedrigen Löhnen und unvermeidlichen Ausgaben für das abendliche Kneipen hart war, wurde die Hoffnung auf bessere Zeiten niemals aufgegeben. bei bedrückend nächtlicher Stimmung reichte es aus, eine Sternschnuppe am Himmel zu sehen. man konnte sich etwas wünschen und es laut sagen, damit man sicher ging, dass sich wenigstens Unangenehmes nicht erfüllte. Optimisten und Karrieremacher müssen das Leben von der sicheren Seite aus poppen, und der Preis, den sie dafür zahlen, ist hoch. sie können Fehler, die nicht begangen wurden, später nicht bereuen. höchstens ihnen nachtrauern, so die Zeit kommt, wo ungenutzte Gelegenheiten mehr bedauert werden als peinliche Erinnerungen. wer frei sein will von Illusionen, muss sich nach dem Jesuiten Gracián gründlich enttäuschen. er darf keine Gelegenheit zur Täuschung auslassen, schrieb er in seinem Kritikon. aber was würde am Ende übrig bleiben? und welche Nachteile hätte man für diese Radikalität auszustehen? vielleicht ist es besser, nicht wie Don Quixote gegen, sondern für Windmühlen kämpfen.