scheitern(hoch)x


gedanken aus der hocke

das gefühl, an einem tag nichts zustande gebracht zu haben, ist ein intensives gefühl, eine extravagante gewissheit.
 

Bruce Nauman: wenn mich eine schwäche deprimiert und ich einer situation hilflos gegenüberstehe, versuche ich meinen überdruss noch zu steigern.
man kann der versuchung, immer tiefer zu fallen, wohl erst widerstehen, indem man gänzlich kapituliert.
 

wollen, wenn man nicht muss, ist nicht nur am wochenende unnötig.
wie absichtslos ich mit einem montags-blues sein könnte.
 

ein denker kann sich am besten mit diversen lebens-läufen entfalten. wie Kierkegaard etwa mit seiner inszenierten vater- sowie verlobungsneurose. der leser muss pseudonyme dann nuancieren, wenn er ihn verstehen will.
 

einem jeden seine klagemauer und seinen traum von einem abgrund. wer wenig zu verlieren hat, der steht mit einer null-perspektive über den dingen. an tagen, an denen man nicht verkommt, sondern bloss vorkommt.
 

Bazon Brock: tief in mir gibt es eine sehnsucht nach einer grossen sintflut. genau dort, wo mein gewissen schlägt.
 

es dauert meist nicht lang, bis man auch die guten seiten von katastrophen erkennt, ihre positiven aspekte in einer vita zu schätzen weiss.
ein fiasko, das ist oft nur die unverschämtheit eines augen-blicks.
 

"verlieren heisst siegen, wenn man es versteht, erfolgreich zu scheitern" - wer glaubt, dass sein scheitern die vorgeschichte eines grossen durchbruchs ist, wird früher oder später auf die misserfolge anderer menschen neidisch sein.
 

lieber im traum eine ratte im darm ertragen als eine fliege im frühstückskaffee schlucken müssen.
wann immer mir ein missgeschick passiert, versuche ich mir einzureden, dass es mich hätte schlimmer treffen können.
die begabung, sich ein völlig überzogenes unheil auszumalen, kann ungemein beruhigen.
 

Georges Bataille: ein fiasko, das ich nicht erlitten habe, irritiert mich. ich muss es selbst und augenblicklich erleiden.
 

wer seinen ehrgeiz aufgegeben hat, führt einen beharrlichen kampf gegen sich selbst. und zunehmend gegen sich selbst, um sich im verzichten einrichten zu können.
 

elektronische geräte werden immer häufiger mit einem kurzen verfallsdatum verkauft. man soll stets auf dem neuesten stand sein, damit der fortschritt weiter fortschreitet.

 
schlimm, schlimmer, am besten schlimm. meine progressionen bei kleinen und grossen lebensniederlagen, nach einiger zeit heben sie sich gegenseitig auf.
 

der humanist Erasmus von Rotterdam genoss als ratgeber ein ansehen wie sehr wenige zu seiner zeit. er erhielt von fürsten, gelehrten und kardinälen briefe, die sich bei ihm im laufe der jahre stapelten. als mit der reformation die grossen unruhen ausbrachen, baute er sich aus seinen korrespondenzen ein schutzschild und wurde zum biederen stubengelehrten.
 

wenn man sich für die schlechtere variante, den langweiligen job oder ein profanes bestseller-buch entscheidet, dann nicht, weil man zu schnell resigniert, sondern um einen berechtigten grund zur klage zu haben.
 

"ein tiefer fall führt oft zu höheren glück."
Shakespeare
 

was hat man von menschen zu halten, welche mit einem schlechten personengedächtnis und steten zuspätkommen
lediglich als geprellte bestehen können?
die sympathie, die man für sie empfindet, ist immerhin ein wundersames gefühl.
 

die erfolgreichen und die zu wenig erfolgreichen menschen im fernsehen. und dann noch die überwiegende mehrheit davor.
 

Roland Barthes: dass ich nicht an mich glaube, kränkt mein selbstbewusstsein. doch lässt mich diese schwäche gleichfalls an jene denken, denen eine solche häresie nicht gegeben ist. sie kennen nicht die gründe für ihr aufbegehren.
 

das scheitern an sich, und für sich, wenn es einen sinn ergibt.
der erfolgsverwöhnte mensch kann ein desaster nicht allzu lange ertragen, ohne sich etwas darauf einzubilden.
 

"die zahl aller übel, die alle lebewesen potentiell erleben können, ist durch die zahl möglicher zustände, in denen das sichtbare universum sich befinden kann, nämlich 10 hoch 10 hoch 123, nach oben begrenzt...", lässt Alexander Kluge in seinem buch "die lücke, die der teufel lässt" einen wissen-schaftler erklären.
 

Simone Weil: in einer gesellschaft des sozialen friedens sind es nicht die existentiellen sorgen und nöte, eher die bagatellen, unter denen gelitten wird. und dies wiegt umso schwerer. gegen die kleinen übel wehrt man sich nicht mehr.
 

man kann persönliche schwächen nicht aufrichtig bekennen,
und man kann sie ebenso wenig dauerhaft verschweigen. also spricht man über sie in einem beredten schweigen. in einem schweigen, das die verallgemeinerung sucht und allmählich in ein sprechen gegen unzulänglichkeiten der sprache flüchtet.
 

das eigene versagen ist häufig weniger demütigend als die entschuldigungen, mit denen man es zu erklären versucht.
wer seine grenzen kennt, der kapituliert lieber rechtzeitig. er kapituliert vor jeder kapitulation.
 

"always crashing in the same car."
David Bowie
 

die lernfähigkeit der kernenergie: AKWs wurden nach dem
GAU in Tschernobyl nicht schrittweise abgeschaltet, sondern vermehrt perfektioniert.
 

viele fehlurteile lassen sich auf eine insuffizenz des denkens zurückführen. als angehöriger einer intelligenten spezies kann man ein existentialistisches scheitern für all sein versagen verantwortlich machen.
 

diese sicherheit im schwanken zwischen verwegenheit und ängstlichkeit. an einer vorstellungskraft leiden, die jedes unglück schon im voraus entwertet.
 

wer den boden unter seinen füssen verliert, verliert als mensch seine originalität. er reagiert zwangsläufig so wie alle anderen. er sucht nach einem akzeptablen sinn, nach einer allgemeinen bedeutung für seine niederlagen.
 

die frau, die sich Michaela nennt und ihr betteln mit einem verwesungsgeruch allen in der u-bahn derart unter die nase reibt, so dass ihr niemand kleingeld gibt. manchmal sehe ich sie als eine potentielle selbstmordattentäterin und manchmal schäme ich mich für diese vorstellung.
 

"mitunter überwältigt mich der genius loci dermassen, dass
ich monatelang am tisch sitze, mit hängenden schultern und gesenktem kopf."
Imre Kertész
 

alles, was man sich vorstellen kann, ist nichts im vergleich zu dem, was man sich nicht vorstellen kann. man geht nicht zugrunde, ohne gleichzeitig seine selbstwahrnehmung zu untergraben. es gibt kaum ein erlittenes scheitern, dass sich authentisches beschreiben lässt.
 

etwas fehlt ständig und so geht nichts auf.
an unerreichbaren katastrophen schiffbruch erleiden.
das scheitern als ein sprung ins nirgendwo.
 

die macht des vielzitierten Sisyphos: für ihn muss sich immer die schwerkraft unter beweis stellen.
 

könnte man einmal gesagt haben, dass alles was der fall sei, nur ein beispiel des möglichen ist?
je kühner sich ein paradox über das scheitern formulieren lässt, umso treffender erhellt es das menschliche unvermögen zum scheitern. die verleugnete niederlage ist manchmal die einzig erreichbare form des scheiterns.
 

die erkenntnis, wieder übertrieben, arg überzogen reagiert zu haben, nachdem der schreck nachlässt.
ES GIBT ABGRÜNDE, DIE IHRE TIEFE FÜR IMMER BEWAHREN.