scheitern(hoch)x


gedanken aus der hocke

beim permanenten fortschreiten der kunst wird dem auge stetig mehr zugemutet. die pupille schärft sich und der seh-nerv  erschlafft.
 

als ein kurator der biennale in Venedig erklärte, dass es
nach zu erfolgreichen jahren nun das ziel der kunst sei zu scheitern, entgegnete ihm ein kritiker, dass man eben daran gescheitert sei. worauf der kurator aber insistierte, dass dies dem konzept entspreche.
 

ein phantast sein oder ein hochstapler, ein wichtigtuer, ein sprücheklopfer, ein täuscher, ein scharlatan ... manchmal reduzieren sich alternativen auf synonyme.
 

man kann jeden intimen geistesblitz durch sich selbst teilen und von allem auch das gegenteil behaupten. selbst wenn man nicht weiss, was das gegenteil vom gegenteil überhaupt sein soll.
 

JOKE.VIAGRA,
HYSTERIA_1784,
BOO/THREE-DEVIL,
WORDMACRO.NENMESIS,
ZERO-TRANSLATOR,
ARMAGEDDON.1079,
TR/GHOSTMAIL-51,
CYBER RIOT:
computerviren wollen als aphorismen gelesen werden.
 

der kreative geist muss, um in einer digitalen informationsflut wahrgenommen zu werden, permanent gemeinheiten ersinnen. er muss sich zwischen niederlagen und erfolgen positionieren, sich zwischen zwei fiktionen skandalös einrichten.
 

als der grieche Herostratos eines der sieben weltwunder, den Artemis-Tempel in Ephesus, in brand steckte, wollte er mit der aussicht auf die todesstrafe berühmt werden. er tauschte wie hypertalentierte künstler in der heutigen mediengesellschaft sein wirkliches leben gegen die virtualität der aufmerksamkeit ein.
 

sich ab und zu mal ohne grund für oder gegen etwas entscheiden. beim schach gibt es immerhin viel mehr ästhetisch reizvolle optionen zu verlieren als zu gewinnen.
 

einen text fabulieren, in dem jede zeile ein fake ist, jeder syntaktische ausfall eine subversion. wer an die kraft des scheiterns glaubt, will verstören, indem er stört. doch eine destruktion wird erst ernst genommen, wenn rebellionen abschreckend missglücken.
 

aufrührerische gedichte, ketzerische bilder, provozierende theaterstücke, derlei hat allein eine diktatur zu bieten. sie nimmt die kunst ernst, zwingt sie zu unmissverständlichen zweideutigkeiten.
 

dass man sich gar nicht mehr vorstellen mag, was ästhetische innovationen in 50 jahren sein könnten. ein schwarzes quadrat, das permanente rauschen der stille, die fülle des nichts gab es bereits zu oft und in aller ausführlichkeit.
 

mit der aufmerksamkeit, dem versprechen auf anerkennung lockt und umgarnt die gesellschaft den künstler. er hingegen kann/ will/ soll/ muss* die gesellschaft mit seinem versagen ködern.
* zutreffendes bitte streichen
 

"vielleicht gibt es irgendwann eine humane gesellschaft - eine gesellschaft also, in der man keine kunst braucht."
Heiner Müller
 

"there is no a quick sense out."
es genügt nicht zu stolpern, man muss auch auf einem parkett zum fallen aufgelegt sein.
 

der zurückgezogene rückzug eines rückzuges: unentschlossen habe ich den verworfenen satz trotzdem aufgeschrieben, um ihn irgendwann wieder streichen zu können. es ist das unausweichliche auf dem papier anzustreben. nicht um es stolz zu veröffentlichen, sondern um etwas in petto zu haben.
 

ein maler, der seine arbeiten nicht ausstellt, ein schriftsteller, der nichts veröffentlicht, ein schauspieler, der auf keiner bühne auftritt... so kann man herausforderungen voraus bleiben.
 

die wohlhabende noblesse des verzichts - stets mehr nicht benötigen zu müssen. eine raffgier der ganz anderen art, die sich exklusiv ausbreitet.
 

nach der privatisierung der kommunalen grossbetriebe wird
bald der wasserpreis steigen. man riecht es schon während
der stoss-zeiten in der u-bahn.

 
die unvollendet gebliebenen texte von Ingeborg Bachmann mit ihren halb- und dreiviertelsätzen. da sie sich einer eindeutigen interpretation verweigern, bewahren sie ein vag schwebendes geheimnis.
 

um mitternacht noch nicht müde und doch ausgepowert. in der schwermut unterliegt das denken dem gravitationsgesetz.
 

"verlieren heisst siegen, wenn man es versteht, erfolgreich zu scheitern" - wer glaubt, dass sein scheitern die vorgeschichte eines grossen durchbruchs ist, wird früher oder später auf die misserfolge der anderen neidisch sein.
 

Ever tried, ever failed. No matter try again, fail again, fail better. ich werde Becket nicht bloss wegen Murphy, Molloy und Godot immer wieder gern lesen. sondern auch weil sein streben nach dem misserfolg letztendlich so triumphal erfolglos war.
 

MIT EINER PROFESSIONELLEN FRIVOLITÄT ohne einen grund untergehen, um zum verräter an all denen zu werden, die im scheitern einen tieferen sinn suchen.