mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

als Grafiker und Programmierer habe ich mich eine Zeitlang auf Stellen-Anzeigen beworben und wurde selten zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. da ich wenig den Erwartungen der Personaler entsprach, kam ich nicht in die engere Auswahl. und falls doch, dann waren es unseriöse Agenturen, die für zu erstellende Pornoseiten Webdesigner suchten. damals wurde mit derartigen Angeboten noch viel Geld verdient. nur wollte ich hiermit nichts verdienen und ignorierte den Job. als einmal die Auftraggeber nicht lockerliessen und mich immer wieder per Mail anschrieben, musste ich deutlicher argumentieren, um meine unbedarfte Bewerbung zurückzuziehen. ich gab vor, dass ich mich mit sexuellen Praktiken kaum auskenne.
das stimmte natürlich nicht ganz. der Einweihung in sexuelle Geheimnisse wurde ich früh teilhaftig. bereits in der 5. Klasse betrieb sie ganz allgemein ein Biologielehrer und auf dem Schulhof stets einer von uns Jungen detailliert. entweder war man allwissend oder noch nicht reif für die Liebe. einer ganz anderen Aufklärung, die als ideologische Propaganda auf uns Schüler herabrieselte, war unsere Reife egal. mit ihr wollten uns die Pädagogen zu sozialistischen Persönlichkeiten erziehen. jener Heranbildung entzog ich mich, wo immer es möglich und kein zu starker Affront war. als aufklärerische Klarstellung erschien sie mir suspekt, obwohl noch nicht Adorno als Lektüre bereitlag. dem Liebesleben indes öffnete ich mich willfähig, wo ungeahnte Abenteuer bei Klassenfahrten und Rüstzeiten sich nicht auf Flirts reduzierten.
viele Menschen glauben, sie könnten aufreizende Begegnungen einzig erleben, wenn sie in die Ferne verreisen oder einer aussergewöhnlichen Gestaltung von Freizeit nachgehen. sie wissen nicht, dass sich das Ungewöhnliche meist ganz nah mit der Leidenschaft eines gespaltenen Bewusstseins ereignet. jene Sphäre stellt wie in den Filmen von David Lynch den Binnenraum einer kleinen, vertrackten Welt dar. man muss freilich aufpassen, dass man wieder aus seiner Unterwelt herausfindet, ansonsten braucht man eine Therapie. als Kind wusste ich, wie das Spintisieren ohne Risiken funktioniert. ich kniff einfach die Augen zusammen und sah alles verschwommen verschroben. oder ich hielt mir eine Glasblase vor die Welt. dafür erfand ich mir Menschen, mit denen ich gern Innigkeiten geteilt hätte, und Orte, wo unvoreingenommen Begegnungen möglich scheinen. war weder das eine noch das andere zu haben, führte ich Dialoge mit einer fiktiven Muse. der Alltag ist mit ihr ein Kopfkino und derart gut zu bestehen. bei obligatorisch zu führenden Smalltalk-Dialogen inszeniere ich mir eine zweite Ebene mit imaginären Sprechblasen und der griesgrämigen Kassiererin im Supermarkt erkläre ich dann, dass die Mathematik an sich inkonsistent ist und ihre Rechnung ein vager Konstruktivismus.