mikado als symptom
als Grafiker und Programmierer hat er sich eine Zeitlang auf Stellen-Anzeigen beworben und wurde selten zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. da er wenig den Erwartungen der Personaler entsprach, kam er nicht in die engere Auswahl. und falls doch, dann waren es unseriöse Agenturen, die für zu erstellende Pornoseiten Webdesigner suchten. damals wurde mit derartigen Angeboten noch Geld verdient. nur wollte er hiermit nichts verdienen und ignorierte den Job. als einmal die Auftraggeber nicht lockerliessen und ihn immer wieder per Mail anschrieben, musste er deutlicher argumentieren, um seine unbedarfte Bewerbung zurückzuziehen. er gab vor, dass er sich mit sexuellen Praktiken kaum auskenne.
das stimmte natürlich nicht. der Einweihung in sexuelle Geheimnisse wurde er früh teilhaftig. bereits in der 5. Klasse betrieb sie ganz allgemein ein Biologielehrer und auf dem Schulhof stets einer von den Jungen detailliert. entweder war man allwissend oder noch nicht reif für die Liebe. einer ganz anderen Aufklärung, die als ideologische Propaganda auf Schüler herabrieselte, war eine Reife egal. mit ihr wollten die Pädagogen ihre Schüler zu sozialistischen Persönlichkeiten erziehen. jener Heranbildung entzog er sich, wo immer es möglich und kein starker Affront war. als aufklärerische Klarstellung erschien sie ihm suspekt, obwohl noch nicht Adorno als Lektüre bereitlag. dem Liebesleben indes öffnete er sich willfähig, wo ungeahnte Abenteuer bei Klassenfahrten und Rüstzeiten sich nicht auf Flirts reduzierten.
viele Menschen glauben, sie könnten aufreizende Begegnungen einzig erleben, wenn sie in die Ferne verreisen oder einer aussergewöhnlichen Gestaltung von Freizeit nachgehen. sie wissen nicht, dass sich das Ungewöhnliche meist ganz nah mit der Leidenschaft eines gespaltenen Bewusstseins ereignet. jene Sphäre stellt wie in den Filmen von David Lynch den Binnenraum einer kleinen, vertrackten Welt dar. man muss freilich aufpassen, dass man wieder aus seiner Unterwelt herausfindet, ansonsten braucht man eine Therapie. als Kind wusste er, wie das Spintisieren ohne Risiken funktioniert. er kniff einfach die Augen zusammen und sah alles verschwommen verschroben. oder er hielt sich eine Glasblase vor die Wirklichkeit. dafür erfand er sich Menschen, mit denen er Innigkeiten geteilt hätte, und Orte, wo unvoreingenommen Begegnungen möglich scheinen. war weder das eine noch das andere zu haben, führte er Dialoge mit einer fiktiven Muse. der Alltag ist mit ihr ein Kopfkino und derart gut zu bestehen. bei obligatorisch zu führenden Smalltalk-Dialogen inszeniere er sich eine zweite Ebene mit imaginären Sprechblasen und der griesgrämigen Kassiererin im Supermarkt erklärt er dann, dass die Mathematik an sich inkonsistent ist und ihre Rechnung ein vager Konstruktivismus.