mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

der geschmackvoll eingerichtete Zeitgeist hat in einer Mediengesellschaft nichts zu verbergen. die Privatsphäre ist vorzeigbar, auch die Fenster werden von keiner Gardine abgeschirmt. in seiner Kindheit schützen überall Stores vor den neugierigen Blicken der Nachbarschaft. damit sie besonders bei Rauchern schneeweiss blieben, haben sie die Mütter monatlich gewaschen. seitdem sich fast jeder in seiner Wohnung wie auf einer Bühne bewegt und sein Leben einsehbar vorlebt, verbergen nur Jalousien in den späten Stunden das Intimleben. in den 80er Jahren begannen sie die Gardinen zu ersetzen, als sie eine Mode wurden und eine Wärmedämmung versprachen. man dimmte das Sonnenlicht mit schönen Schatten-Effekten und genoss die aufscheinende Differenz zwischen Innen und Aussen.
in seiner ersten Wohnung, einer Junggesellenmaschine in einem Hochhaus, hingen vor seinen Fenstern auch Jalousien. sie waren schwer zu bekommen, da sie viele begehrten und die Planwirtschaft nicht mit der Produktion hinterherkam. doch er hatte welche mit Plastik-Lamellen und stellte sich je nach Tageszeit die gewünschte Stimmung ein. am geeignetsten schien ihm eine diffuse, mit der die flusige Verwahrlosung nicht zu offensichtlich schien. im Dämmerlicht konnte er vor sich dahindümpeln, so lange er wollte und war dabei produktiv. die Gedanken kamen bei jener Atmosphäre zu den besseren Einfällen. im Bekanntenkreis hingen meist die billigen Faltrollos aus Papier vor dem Fenster. man konnte sie überall kaufen, jedenfalls so lange, bis sie irgendwann die bildenden Underground-Künstler als Malgrund entdeckten. auf ihnen ergaben sich reliefartige Effekte mit ein- und ausziehbare Motiven, die nicht nur daheim, sondern ebenso in kleinen Galerien stolz präsentiert wurden.
nach der Wende schafften es die Faltrollos wie vieles andere Wilde mit Rotweinflecken als ostdeutsche Avantgarde in museale Sammlungen. niemand nahm Anstoss daran, dass es Bilder auf einem säurehaltigen Grund waren, also recht vergängliche. jener ästhetische Widerstand wurde mit kunstwissenschaftlichen Erklärungen in Retrospektiven nachträglich nobilitiert. das Interesse hat allerdings bald nachgelassen, weil in jenen bewegten Zeiten ausserhalb der Kulturtempel Spannenderes vorlag. die renitente Kunstszene geriet zur Nostalgie, als ein politisches Feinbild verblasste. nun schlummern die einst widerständigen Arbeiten in Archiven, geschützt vor dem Sonnenlicht und einer abgeklärten Öffentlichkeit, die sie weniger spannend verorten würde. in einem abgeschotteten Land imaginierte die Sehnsucht nach einer weiten Welt das Prinzip Hoffnung exzessiv und imitierte aus internationalen Katalogen formale Freiheiten leidenschaftlich. besonders gern Beuys, nachdem in Leipzig und Ostberlin eine Ausstellung zahlreiche Zeichnungen von ihm zeigte. seine politische Mystifikation schuf einen Raum, in dem sich der Traum von einen besseren Sozialismus ungestört vom Zeitgeist imaginieren liess.