mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

es werden bei der Post noch Telegramme aufgegeben. obwohl jede digital verschickte Kurznachricht ihren Empfänger schneller erreicht, tragen sie Zusteller weiterhin aus. sie verschrecken dann bestimmt, da man stante pede eine Abmahnung oder ähnlich Unangenehmes erwartet. also lieber keine Telegramme aufgeben und bekommen auch nicht. was gedruckt als Zeilenwerk weitergegeben wird, sollte subtil verfasst sein, um feinsinnig poetologische Interpretationsräume zu eröffnen. in den DDR war es so usus. es wurde nicht nur in den Zeitungen, sogar in Briefen zwischen den Zeilen gelesen. man wusste nie, ob der Geheimdienst Stasi mitlas, so dass der Absender manches lieber zweideutig lyrisch formulierte, andeutungsweise des wirklich Gemeinten.
in einer dekadenten Gesellschaft ist es die Ironie, welche Botschaften immanent einen zweideutigen Sinn verleiht. bleibt sie beim Smalltalken und in politischen Diskussionen aus, verebbt die Kommunikation oder ufert ins Pathetische aus. ein ironischer Unterton wird als Unverbindlichkeit gebraucht, um sich unsägliche Sinnfragen vom Leibe zu halten. Hiob begann erst zu leiden, als er ernsthaft nach dem Grund für sein Unglück gefragt wurde und ihn nicht finden konnte. der mokante Ton ist allgegenwärtig und es muss ihn geben, damit das, was zu meinen ist, nicht unflätig aneggt. sogar Liebenswürdiges kann nicht mehr geradeheraus mitgeteilt werden, es stimmt vielleicht bedenklich und wird dann als Anmache interpretiert. charmante Geständnisse benötigen wie Fragen zum Wohlbefinden eine galante Verfremdung, welche klar macht, dass sie nicht unbedingt ernst gemeint sind. gehofft wird, dass der Empfänger sie zurückübersetzt, und falls er es nicht vermag, so hat sich wenigstens niemand blamiert.
purer Ernst kann ein Riesenmissverständnis sein und zu fortwährenden Fehldeutungen führen. die Ironie ist in einer überinformierten Zeit häufig das letzte Mittel, um Essenzielles unverfänglich mitzuteilen. in Nachrichten-Sendungen greifen Redakteure, mithin nichts Angenehmes zum Verkünden vorliegt, gern auf einen relativierenden Unterton zurück. selbst der Wetterbericht ist keine unverfängliche Angelegenheit mehr, seitdem er wegen dem globalen Klimawandeln seltener erfreulich ausfällt. kein Moderator mag auf eine sarkastische Verfremdung verzichten, und vor allem die Werbung nicht, wenn sie masslos zur Übertreibung neigt und trotzdem überzeugen soll. es gelingt ihr gut, solange sie mit Spitzfindigkeiten doppeldeutig einschwört. wer geradeaus einen Lebenssinn beansprucht, provoziert gefährliche Fehldeutungen oder er ist schlicht unverschämt.