mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

wenn es Menschen gut geht, kommunizieren sie gern Banales, und mit dem Handy am Ohr Allerbanalstes. während einer längeren Bahnfahrt ist es zu erleiden, wenn laut fremdgeredet wird. liegen mehr als zehn Minuten Verspätung vor, werden sie weitergemeldet, damit jemand länger wartet. ein adretter Herr mit Fliege muss sie seiner Mutter wiederholt erklären und stiftet zunehmend Missverständnisse. da es immer lauter wird, kann niemand sich unterhalten und schlummern schon gar nicht. seitdem in Zügen keine Fahrgeräusche mehr die interne Kommunikation verrauschen, ist selten eine Ruhe zu haben. in alten ratternden Abteilen hat er trotz Stimmengewirr Hegels Logik gelesen. oder er lernte aparte Menschen kennen, hörte sich ihre Geschichten an und gab eigene zum besten. das erweiterte den Horizont ungemein, und bisweilen ist er beim gleichmässigen Rattern und Klappern auch eingeschlafen. ein solcher Lärm ist angenehmer als die absolute Stille, bei der man irgendwann den eigenen Herzschlag als Störgeräusch wahrnimmt.
wollte er bei seinen Fahrten zur Uni allein sein, vertilgte er vorher eine Knoblauchzehe. ausgeschwitzt schnofelte sie den Mitreisenden zu sehr und sie liessen sich woanders nieder. mittlerweile fahren Züge ohne Abteil und die Nasen haben sich, sa fast jeder sein Essen mit Knoblauch würzt, an ungewöhnliche Ausdünstungen gewöhnt. falls nicht viele mit ihrem Handy oder als Geschäftsreisende mit ihrem Laptop beschäftigt sind, ist es das zwanghafte Halbscherzen, das als ein vorgegaukeltes soziales Miteinander nervt. es stellt sich keine Gemütlichkeit ein, gestresste Pendler sind unterwegs, die Fahrt in den Urlaub wird hingegen mit dem Auto absolviert. folgenreiche Begegnungen, flüchtige Romanzen, das spontane Schwatzen zwischen Familien, die sich andernorts nie ansprechen würden: all das ist mit dem fliegenden Salon, wie Eichendorff das Zugabteil nannte, verschwunden. oder für den Nostalgiker nur noch bei Sonderreisen in historischen Zügen nachzuerleben.
es ist komplizierter geworden, das Geläufige als ein Miteinander zu verstehen. und dennoch kann man einander nicht leugnen, was man tatsächlich ist. eine an Idealen orientierte Wahrnehmung geht schnell in der Kommunikation fehl und verunsichert dann. selbst Journalisten fällt es schwerer, eine zunehmende Ratlosigkeit zu kaschieren. einen Präsidentenkandidaten, den sie im US-Wahlkampf als einen Clown gesehen und derartig beschrieben haben, hat nun das hohe Amt inne. man sollte den Tag lieber mit einem Gedicht beginnen und nicht mit der Zeitungslektüre. wer selbst keine Lyrik schreibt, könnte wenigstens welche lesen, damit sich im lauten Banalen nicht Gefühle wie Stricke zu einem Jetlag verknoten.