mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

manche Höhepunkte behält man besser für sich oder zelebriert sie bescheiden im überschaubaren Kreis. so hat er seinen 50. Geburtstag nur mit seinen beiden Söhnen in der Märkischen Schweiz gefeiert. es sollte nicht an die grosse Glocke gehängt werden, dass er den Zenit des Lebens überschritt, und wurde beim Wandern in der Natur auch nicht thematisiert. da man erst nach langem Suchen ein Restaurant zum Zuprosten fand, war der Anlass dafür kaum noch erinnerlich. das Jubiläum wurde mit viel frischer Luft zu einem frugalen Wandertag. ebenso bescheiden hat er seine Eheschliessung in jungen Jahren zelebriert. bloss die damals noch obligatorischen Trauzeugen waren eingeweiht und bei einem kleinen Festmahl die Gäste. die Schwiegereltern erfuhren es eine Woche später und durften sich dann beschnuppern. ein Kollege vom Theater, den es in ein Dorf verschlagen hatte, musste für seine Hochzeitsfeier einen Bus mieten und die zahlreich angeheiratete Verwandtschaft aufwendig beköstigen. die Provinz hält familiäre Festakte noch hoch und niemand darf sich dem entziehen, ansonsten wird er geächtet.
er weiss, warum er in einer anonymen Metropole lebt. hier muss er bei obligatorischen Anlässen keine Geselligkeit aushalten. er kann sein Geld allein in Imbiss-Buden verprassen und befindet sich immer in einer imposanten Gesellschaft. kommt er mit wem intensiv ins Quatschen, bleibt es dabei ohne ein verpflichtendes Wiedersehen, und falls sich dennoch eins zufällig später ergibt, reicht ein kurzes Zunicken aus. von solchen Bekanntschaften bekommt man keine Einladungen für Geburtstagspartys oder Vernissagen, wo sich die Gäste in leutseligen Runden einlullend die Schultern beklopfen. derartige Bestätigungen erheischt er nicht, er erledigt es lieber selbst, dann weiss er, dass es ehrlich übertrieben ist. gelingt ihm Herausragendes in der Bildproduktion wird es nicht sogleich ausgestellt oder anderweitig vorgezeigt. er behält das Hochgefühl des Gelingens vorsichtshalber für sich. es könnte ja sein, dass ein paar Tage später alles wie eine Seifenblase platzt und nach Abänderungen ruft. so blamiert er sich nicht und kann es in Ruhe verbessern.
mit Übertreibungen wird man irgendwann berühmt oder wenigstens bekannt. beschränkt man sich indes auf Understatements, hat man seine Ruhe. die ausbleibende Anerkennung ist kein Verlust, da Lob inzwischen zu leicht zu bekommen ist. er fühlt sich wohler, wenn er ungestört arbeitet und sich nicht die immer gleichen Probleme von freischaffenden Kollegen anhören muss. sie jammern gern über einen Kulturverfall und wollen es nicht wahrhaben, dass sich zu viele Talente öffentlich profilieren. bei Vernissagen bleiben sie unter ihresgleichen und er vermutet, dass sie einzig zusammenkommen, um sich in dem anheimelnden Ritual einer endlosen Wiederholung zu bedauern. er kennt derartige Gespräche allzu gut, da sie seit Jahrzehnten im Kollegenkreis ausführlichst geführt werden.