mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

Büchermärkte hat er viele Jahre ausdauernd besucht und besonders regelmässig an Wochenenden den trödligen am Berliner Bode-Museum. hier stiess er auf einige Raritäten und ganz billig neulich eine Erstausgabe von Walter Müllers realpolitischer Utopie über die Novemberrevolution erstanden. sie lag verdeckt unter einem abgegriffen Kompendium, das versprach, mit der entsprechenden Gesichts-Gymnastik im Alter ohne Brille auszukommen. er brauchte lange Zeit keine, doch immer etwas zum Lesen. auf dem Trödelmarkt kostet ein Buch bei zwei gehobenen Fingern zwei Euro und zwei bekommt man für drei Euro. der prätentiöse Leser muss freilich lange zwischen unzähligen Ratgeberbüchern, Lexika und Wörterbüchern suchen, um auf eine Rarität zu stossen. trotzdem kaufen auf dem Markt Inhaber von Antiquariaten ihre Ware ein und zahlreiche Sammler ebenso. angeboten werden Bücher und Zeitschriften aus kleineren oder grösseren Bibliotheken, welche bei Haushaltsauflösungen vorliegen. die ihnen bekannten Highlights picken sich die Händler vorher raus, um sie bei Auktionen oder im Internet anzubieten. den verbleibenden Rest mit den von ihnen übersehenen Raritäten verramschen sie bei jedem Wetter an ihren Ständen.
bei seinen Besuchen hat er einige kauzige Existenzen über Jahre hinweg beobachten können. es sind Bücherjunkies, welche ihr Geld selten für eine neue Kleidung und Sonstiges, was der Mensch unbedingt braucht, ausgeben, lieber exzessiv für ausgefallene Bücher. je mehr mancher von ihnen kauft, desto verwahrloster schaut er aus. sie sollten für einen Büchernarren wie ihn eine Warnung sein, müssen sie aber nicht, da er nur noch höchst selten etwas für die eigene Bibliothek anschafft, mehr das absichtslose Stöbern geniesse. dabei beunruhigt ihn, dass sich tendenziös die Zahl der Buchkäufer verringert und auch die der Anbieter. das Interesse an Literatur lässt nach, obwohl angeblich mehr gelesen wird. das meiste wahrscheinlich online. zahlreiche bekannte Antiquariate in der Stadt sind mittlerweile verschwunden. hier kam er mit versierten Kennern des Buchmarktes ins Gespräch, erhielt interessante Hintergrund-Infos und Hinweise auf wenig bekannte, aber sehr geistreiche Autoren.
jenes Wissen geht zunehmend verloren. am Ende werden der Online-Handel, wo einem Algorithmen Bestseller empfehlen, und auf Massenware spezialisierten Kulturkaufhäuser wie das von Dussmann übrigbleiben. im letzteren muss man den Verkäufern sogar einen Carl Schmitt buchstabieren, damit man ihn bestellen kann. auf Märkten kaufen allein noch Freaks gedruckte Literatur, um sie zu Hause zu horten, während die noch Verrückteren versuchen, weiterhin anspruchsvolle feilzubieten. Bücher sind in Zeiten der digital oszillierenden Botschaften exklusive Objekte geworden.