überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

ein Handwerker hämmert seit einer Stunde ununterbrochen im Haus. ein Handwerker darf das, während er am Computer versucht, für eine generative Textgenese einen vertrackten Code zu entwirren. als er mit handwerklichem Schwung den Kunstmarkt erobern wollte, nervte er ähnlich bis spät in die Nacht. seine Nachbarn haben es ertragen müssen und ihn zurückhaltender gegrüsst. er hatte kein Atelier, bloss seine Wohnung, wo er in der Küche ständig etwas sägte und bemalte. hier wurden auf wenigen Quadratmetern aufwendige Installationen vorbereitet und an einem Schraubstock ganz akribisch in einem halben Jahr sechs fünfdimensionale Kuben fabriziert. Rücksichten nahm er auf niemanden, nicht auf sich und ebenso wenig auf die Nachbarn, welche tagsüber laut wohnten. ein Atelier konnte er sich nie leisten, obwohl es dafür Förderungen gab und für gut vernetzte Menschen nach wie vor gibt. finanzieren vermag es nur, wer seine Produktion gut verkauft. das ist ihm nie gelungen, selbst als er sich eine Zeitlang fleissig ausstellte und um Kontakte zu einflussreichen Galeristen bemühte.
nun hat er nichts mehr zu hämmern und ist lärmempfindlicher geworden. gearbeitet wird mit Computerprogrammen und leisen Tintenstrahldruckern. tatsächlich müsste er als Bewohner einer rund um die Uhr pulsierenden Metropole unter einer Schwerhörigkeit leiden. stattdessen darbt er hochsensibilisiert unter fast jedem Geräusch, das nicht von ihm stammt. bei seinem virtuellen Operieren beansprucht er die Stille und wird permanent von Menschen durch ihre Musik genervt. sie ertönt aus röhrenden Basslautsprechern und durchdringt die Wände von Wohnungen. beschwert er sich, wird er dämlich gefragt, ob denn schon Nachtruhe sei. ertönt mal keine Musik, schleicht er auf leisen Sohlen durch seine Zimmer und hofft, dass es eine Weile anhält. er schaltet das Radio aus und wünscht sich, dass sich seine Geräuschlosigkeit dauerhaft niederschlägt. leider ist es selten der Fall.
um sich von einem Techno-Sound und Party-Grölen aus der Nachbarschaft abzuschirmen, helfen keine geschlossenen Fenster, keine Ohrstöpsel oder Kopfhörer. man muss wohl selber lauter agieren und seine Umwelt übertönen. vielleicht sollte die Computer-Tastatur gegen ein Schlagzeug eingetauscht werden. jeder getippte Buchstabe würde zu einem Trommelschlag und beim Formulieren eines Gedichtes mit viel Stakkato einen Presswirbel skandieren. im eigenen Lärmen käme man zu einer vibrierenden Inspiration, um wie ein Hubschrauber tosend abzuheben. erlebt hat er solch einen Höhenflug einmal, als er für eine journalistische Recherche mit einem Helikopter mitfliegen durfte. es war eine schnelle Militärmaschine vom Typ Mi-8, mit der die Verkehrspolizei nach der Wende die Überwachung aus der Luft testete. der Einsatz wurde jedoch wegen dem Lärmschutz verworfen. ihn hat das vibrierende Dröhnen des Propellers überhaupt nicht gestört. es akkommodierte eine Ausgeglichenheit, die vollumfänglich immunisierte.