mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

was alles an Dokumenten abgeheftet werden muss. die Zahl der Ordner wächst noch und nöcher, wie die der Unterordner auf externen Festplatten. irgendwann ist die Vita eine unübersehbare Ansammlung von unzähligen Archivalien. der Überblick geht verloren, da er seit seiner Jugend Manuskripte hortet und Kopien von Garantiebelegen, zuhauf Quittungen von Therapiestunden als auch Zahnarztrechnungen, die er sogar in Zeiten der Geldnot pünktlich bezahlt hat. sie werden schlimmstenfalls als der tatsächliche Nachlass übrigbleiben und das künstlerische Werk nach seinem Ableben überlagern.
das Überleben ist ein diskretes Aufräumen und ohne ein Aussortieren kaum zu bewältigen. vor allem die fingierten Abrechnungen für Projektförderungen müssen verschwinden, damit sie kein falsches Bild hinterlassen, und ebenso emsig die aus Zeitungen ausgeschnittenen Rezensionen für das weitere Beantragen von öffentlichen Geldern. die Vision von einer papierlosen Buchhaltung wie die von einer papierlosen Literatur haben sich als leere Versprechen erwiesen. der Mensch hängt am Papiernen wie am baren Geld. nur besitzt man zu viel davon, muss einiges abstossen werden, damit der Ballon nicht im Sinkflug zerschellt. selbst auf die Gefahr hin, dass in absehbarer Zeit ein Nachweis für irgendein Amt benötigt wird. im Kopf sind zu befürchtende Lücken der Beleg für ein immenses Gedächtnis. wer viel gelesen und erlebt hat, muss ein Wissen unentwegt memorieren oder die grauen Zellen mit externen Datenspeichern entlasten, auf dass sich Wichtiges nicht in einem Rauschen auflöst.
unwiederbringlich verloren gegangen sind Gedanken, die er in vergangenen Jahren nicht dokumentiert hat. er ist ausserstande zu beurteilen, ob es sich um einen grossen Verlust handelt. mit dem coolen Ignorieren von oszillierenden Meinungen und unnötigen Bekanntschaften hat er indes kein Problem mehr. Verabredungen werden auf ein Später verschoben und irgendwann auf ein nächstes Leben, um das jetzige unbeschwert zu führen. soziale Verwahrlosung ist nicht ein Zustand des Mangels, eher eine nicht beherrschbare Fülle, wie in seinem Portemonnaie, das alte Quittungen und abgelaufene Fahrscheine aufblähen. passt es nicht mehr in die Hosentaschen, wird Unnötiges aussortiert. ein abgestempelter BVG-Fahrschein bleibt indes in der Geldbörse. klappt es mal nicht, einen zu lösen, wenn die Zeit drängt, wird ein alter selbstbewusst vorgezeigt. die Schwarzfahrer werden an ihrem unsicheren Gebaren erkannt und nicht am unleserlich kleingedruckten Datum. das hat ihm ein Kontrolleur hinter vorgehaltener Hand mal verraten. noch hat er sich nicht getraut, es zu testen, da ihm dafür die Kaltblütigkeit fehlt. in der Not könnte es aber gelingen.