mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

gebaut wird ständig etwas in seinem Wohnumfeld, so dass es dem Klischee einer Metropole entsprechend laut tönt. Presslufthämmer geben den Rhythmus an, wo etwas für Neubauten ausgeschachtet oder an Anschlüssen neu verlegt wird. entweder sind es Wasserleitungen oder Stromkabel, für die man den Asphalt abträgt. ein Bagger hebt ein hüfthohes Grab aus, wo sich Monteure den Tag über aufhalten, und deswegen steht immer eine Dixie-Toilette für sie bereit. ein Jahr später sind für schnellere Internet-Verbindungen Glasfaserverbindungen unter die Erde zu bringen und danach kommen die dicken Abwasserrohre dran. öffentliche Baustellen können nicht koordiniert werden, die freie Marktwirtschaft benötigt keine planwirtschaftlichen Konzepte, sondern die freie Eigendynamik vieler Dienstleister. miteinander kooperierend Anschlüsse und Rohre auszuwechseln, würde sich für die Firmen nicht lohnen. sie müssen ihre eigenen teuren Aufreissmaschinen gewinnbringend einsetzen.
wer zur Strasse hinaus wohnt, hat den Baulärm ab acht Uhr zu ertragen, und sogar am Samstag. zu erneuern ist unentwegt etwas und mitunter sind es nur Gehwegplatten, obwohl an den alten nichts auszusetzen war. die Bezirksverwaltung musste noch flugs Geld ausgeben, und nun hat man chinesische aus Granit, die mit einer glatten Struktur im vereisten Winter gefährlich rutschig sind. Berlin braucht seine unzähligen Baustellen und Rekorde bei Terminüberbietungen. die Montage eines neuen Fahrstuhls für einen U-Bahnhof dauert mindestens zwölf Monate. Mietshäuser werden einfallsreich saniert, damit die Miete fortwährend steigt. manchmal wird auch nur gebaut, um Bewohner herauszuekeln, die noch einen günstigen Vertrag haben. vor ihren Fenstern wachsen dann Gerüste, die keinen Sinn ergeben, aber schikanieren. bei ihm werden derzeit aufwendig die Stromleitungen im Haus gewechselt, da sie zu alt und zu dünn sind. es ist eine Instandhaltung mit Modernisierung, welche angeblich eine Energieersparnis einbringt und somit automatisch zu einer höheren Miete führt.
das urbane Überleben wird teurer und hysterisch, ein übertriebenes, unechtes Behaupten. die Lokalpresse berichtet fleissig über Bauskandale bei kommunalen Grossbaustellen und der Leser freut sich hämisch, falls irgendwo etwas schiefläuft, da es dann nicht nur bei ihm der Fall ist. auf die Dauer führt solch ein Defätismus zu moralischen Verwirrungen beim Räsonieren. selbst im Feuilleton versuchen Schreiber nicht mehr, mit dem Denken zu einer Meinung zu kommen, sondern das Meinen allgemein moralisch zu bestimmen. ganz uneinig ist man sich jetzt über die unzählig herbeiströmenden Flüchtlinge. die Volksseele pöbelt dagegen an und viele Politiker stecken in einer moralischen Zwickmühle. im letzten Winter wurden Migranten noch auf den Bahnhöfen herzlich von Helfern empfangen. nur seitdem immer mehr aus islamischen Ländern einreisen und kulturelle Weltbilder durcheinander bringen, trübt eine Katerstimmung das allgemeine Klima. die Gerüchteküche kocht hysterisch in den hypernervösen Netzen zu einer Angstdiarrhö heran.