mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

die Erde ist linksdrehend, der Mond auch und bei einem introvertierten Jungen das Tanzen ungewollt linkisch. er hat sich dabei mal arg blamiert, als ein Spielfreund ihn in der dritten Klasse zu einem Ballettkurs überredete. von dem Freund, der in der Balletrunde unter lauter Mädchen isoliert war, wurde ein Beistand erhofft, und so konnte er nicht nein sagen. obwohl er sich innerlich zierte, war er auch neugierig auf die Mädchen. alle sollten zu klassischen Melodien etwas improvisieren und bei ihm wurde es, weil er sich nicht auf seinen Körper konzentrieren konnte, ein verkrampft unsicheres Herumhüpfen. am Ende der Probestunde attestierte ihm der Lehrer ein mangelndes Ausdrucksvermögen. das hat ihn natürlich erleichtert. es gab nun keinen Grund für weitere Versuche, zu denen ihn sein Freund überreden konnte.
die klassische Tanzkunst verlockte ihn erst bei seiner Arbeit im städtischen Theater wieder. er lernte dort Menschen kennen, die es mit viel Talent und Fleiss in ein Theaterensemble geschafft hatten. sie trainierten täglich zwei, drei Stunden in einem Ballettsaal, danach während ihrer Proben auf der Bühne und am Abend war eine Vorstellungen zu bewältigen. im Bett war der Körper schlaff und selten ohne einen blauen Fleck. er weiss es sehr gut, so er eine Zeit lang mit einer Tänzerin liiert das Kopfkissen teilte. sie war erst fünf Spielzeiten am Theater engagiert und zählte bereits die Jahre bis zur Rente. in ihrem Beruf wurde sie ab Mitte Dreissig ausgezahlt. und es war nötig, da ein Körper bei jenem enormen Pensum schneller als in anderen Berufen verschleisst. das klassische Ballett ist nicht nur ein knallharter Leistungssport, sondern eine traditionsverhaftete Disziplin, in die kaum Erkenntnisse der modernen Sportmedizin vordringen. es sind nachhaltige Schäden vorprogrammiert. die Hüftgelenke nutzen sich ab, die Wirbelsäule macht früh Probleme und eine Osteoporose droht bei einer üblichen Mangelernährung.
während seiner Armeezeit war der tägliche Drill und das Wacheschieben anfangs auch ein arges Kräftezehren. erst nach der Grundausbildung kam der Körper wieder zu Ruhe und mehr Langeweile auf. auf seiner Stube waren alle von seinen Erfahrungen am Theater fasziniert. seine Anekdoten über die Tänzerinnen stachelten ihre erotische Neugierde an. sie wollten an ereignislosen Abenden vor der Nachtruhe Ausführliches hören und waren auf Details erpicht. er dachte sich die schönsten Episoden für sie aus und enttäuschte sie somit nicht. hierin war er immer ein Meister. mit einem phantastischen Sprachvermögen kompensiert er seit seiner Kindheit fehlende Abenteuer und eine mangelnde körperliche Kompetenz. ihm fallen dauernd Geschichten ein, mit denen er sich in einer Parallelwelt bewegt. nur in der Kunst nicht. hier hält er wie ein Tänzer strenge Disziplin und die Phantasie in den Schranken einer formalen Ordnung. die Kunst ist sein strenger Vormund.